«Namen sind ungeschriebene Geschichte»

Afasteig

(Gams)

Es gehört zu den MerkwĂŒrdigkeiten der Ortsnamenwelt, dass da und dort in derselben Gemeinde Namengruppen auftreten, welche durch ihre teilweise Ă€ussere Ähnlichkeit auffallen, ohne dass sie im ĂŒbrigen zusammengehören mĂŒssen. So kennt man etwa in Grabs mehrere Namen, die mit Iver- beginnen (Iverplut, Ivertschell und Iverturst), oder in Wartau die vielen Ortsbezeichnungen auf Fer- (Ferdieris, Ferdurn, Fereitis, Ferfiggs, Ferfingis, Fergasis, Fergeilis, Fergfal, Fergfreisch, Fergrolis, FerlĂŒls, FermĂ€rsch, Fermeil, usw.), in Sevelen die FĂ€lle mit Fal- (Falfaschnea, Falfermues, Falferor, FalisĂ€r, FalnĂ€tscha, FalpilĂ€r, FalschnĂ€ra), in Sennwald eine Reihe von Namen auf Iga-/Igi- (Igadeel, Igatschier, Igiditsch, IgischĂ€tz). Auch Gams steht hier nicht abseits; bekannt ist hier etwa ein Trio von Afa-Namen, nĂ€mlich Afaggeia, Afagrist und Afasteig. Nun wird der unvoreingenommene Laie wohl zunĂ€chst annehmen, dass das gemeinsame Element dieser Gruppen, also die Elemente Iver-, Fer-, Fal-, Ig- oder Afa-, sich ĂŒberall gleich erklĂ€ren lasse, also auf identische Herkunft verweise. Dies kann zwar stimmen, ist aber keineswegs automatisch der Fall. Sie sind vielmehr zum Teil erst nachtrĂ€glich in einen Namen hineingeschmuggelt worden, in Anlehnung an ein Vorbild (einen meist örtlich benachbarten Namen), der dieses Element ursprĂŒnglich trug. Wenn ein Name in dieser Weise durch Ă€ussere Einwirkung in seinem Entwicklungsgang «gestört», auf ein anderes Gleis geschoben wird, spricht der Fachmann von «Ablenkung». Eine solche hat auch bei unseren Gamser Namen auf Afa- stattgefunden. Wie, soll hier gezeigt werden. Doch stellen wir zunĂ€chst alle drei Namengebiete vor.

Afasteig: Wiesland und HĂ€user ĂŒber dem Dorf, zwischen Strubenhus und Vorburg, ĂŒber dem SĂ€genbach, bei der Burg, wo eine alte Berggasse den Hinderberg hinan fĂŒhrt. Etwas weiter nördlich liegt Afaggeia: Wiesland und HĂ€user nördlich der Burg, westlich ĂŒber der Vorburg. Noch etwas weiter nördlich ist Afagrist: Wiesland an Hanglage ĂŒber dem hinteren Dorfteil, oberhalb Lungalid, vor dem Rosengarten. Alle drei liegen im Mittel auf rund 550 m Meereshöhe.

Blick auf Gams und den Hinderberg. Afasteig liegt rechts ĂŒber der Kirche, sĂŒdlich beim SĂ€genbach. - Bild: Hans Jakob Reich.

Obwohl es uns hier eigentlich nur um den Fall Afasteig geht, sind wir wegen des ihnen gemeinsamen Elements Afa- doch genötigt, auch die beiden anderen im Auge zu behalten. Und da kommt gleich etwas Lustiges zum Vorschein: Um 1910 notierte ein frĂŒher Namensammler zu Afagrist die folgende kirchlich inspirierte Überlegung: «Vielleicht von einem Bildstöcklein, in welchem geschrieben stand «Ave Christo, dann gab’s Ave Christ und Afegrist (?).» Das ist schön und fromm ausgedacht – aber dann liesse sich wohl dieses Afa- nur hier zu lateinisch Ave ‘sei gegrĂŒsst’ stellen – denn fĂŒr die beiden anderen ist ja keine solche «christliche» ErklĂ€rung in Sicht. Und wahr ist sie auch hier nicht - das Element -grist gehört jedenfalls eher zu romanisch cresta ‘HĂŒgelkamm’.

Wenden wir uns daher nun dem Fall Afasteig ganz zu. Auch hier können wir uns zunĂ€chst ein Schmunzeln nicht verkneifen, wenn wir die historischen Schreibformen von 1763, nĂ€mlich Affensteig und affen steig, sehen, in denen die naive gedankliche AnknĂŒpfung an die nĂ€chsten tierischen Verwandten des Menschen mit HĂ€nden zu greifen ist. Hilfreich fĂŒr diese Annahme war sicher auch das Namenelement -steig, welches im Deutschen tatsĂ€chlich existiert: Eine Steig ist (oder vielmehr war) ‘eine Steigung im GelĂ€nde, eine ansteigende Wegstelle, eine kleine Anhöhe’. Man findet das Wort etwa in den bekannten Namen Luziensteig (GR) oder FĂŒrstensteig (FL). Warum also nicht auch hier? So mögen sie damals gedacht haben.

Die Wirklichkeit ist aber auch hier eine andere. Valentin Vincenz hat 1983 in seiner Dissertation den richtigen Zusammenhang erkannt: Der Name lÀsst sich aufgliedern als A-fasteig, also: a) in einen alten, nicht-deutschen Namenstamm Fasteig und b) in die davorgesetzte deutsche OrtsprÀposition an, die sich fest mit dem Namen verbunden hat.

Zu Geschichte und Bedeutung dieser eigentĂŒmlichen und sprachgeschichtlich bedeutsamen Verschmelzung kann auf dieser Website nachgelesen werden unter https://www.werdenberger-namenbuch.ch/werdenberg/sprache/vom-romanischen-zum-deutschen/deutsche-ortspraeposition-verbunden-mit-romanischen-namen/; hier beschĂ€ftigen wir uns nicht weiter mit ihr.

Dieses Fasteig geht zurĂŒck auf altromanisch fastei (fastatg) m. ‘steile Runse, Hangrinne (im Bergwald), Holzriese, Gleitbahn, durch die das geschlagene Holz heruntergelassen wird’. Der Ausdruck ist als Sachwort und daraus auch als Ortsname von UnterrĂ€tien bis ins Veltlin und in den Vinschgau verbreitet. Hier einige Beispiele von GelĂ€ndenamen dieses Typs: In DeutschbĂŒnden VerstĂ€g Parpan, FastĂ€z LĂŒen, Fastat Klosters, Fastaig Conters; in Liechtenstein Steia Gamprin (aus *Fasteia), Steiagass Eschen; in Vorarlberg MatĂ€tsch (aus FastĂ€tsch) BĂŒrs, VastĂ€tsch Nenzing, Vadetsch (aus Vast-) Frastanz, schliesslich auch ĂŒberraschendes Affastee Gaschurn («Affenstein», das unserem Afasteig sehr nahekommt!). Wir bewegen uns hier also in einer grösseren Gesellschaft. Auch Werdenberg bietet noch mehr Ableger des Typs: Heute ausgestorbenes †Falsteig und †Ifasteig, beide Sevelen (ersteres mit Einmischung von rom. val ‘Tal’), ebenso †Fastei Buchs, und schliesslich der Weilername Steig Sevelen (am Seveler Berg), der sicherlich auch nicht deutsch, sondern (als sogenannter «Rumpfname») aus romanisch fastei(g) gekĂŒrzt ist. Auch die Steigstuden in Wartau sind hierher zu stellen.

Wir können aus dem Bisherigen folgern, dass die in Gams dreifach erscheinende «Vorsilbe» Afa- nur bei Afasteig einen sicheren Ausgangspunkt hat: Hier ist die Deutung klar und gesichert, und hier ist die Entstehung des Afa- sprachlich logisch und vielfach abgesichert. Die anderen zwei FĂ€lle, Afaggeia und Afagrist, haben den Nachteil, dass sie mehrere Deutungsvarianten zulassen, in die sich das Afa- nicht stets plausibel einfĂŒgen lĂ€sst. Doch darĂŒber vielleicht spĂ€ter einmal.

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