«Namen sind ungeschriebene Geschichte»

Amaschnun

(Grabs)

So heissen zwei Heimwesen auf einer schmalen Terrasse am vorderen Grabser Berg, unter dem (neuen) Schulhaus und ĂŒber dem abschĂŒssigen Rutschgebiet namens Haueten gelegen. Der Name wird auf der letzten Silbe betont; das Schluss-n bleibt unausgesprochen, steht aber fĂŒr die lokaltypische nasale FĂ€rbung des betonten offenen -u. Die lokale Aussprache lĂ€sst sich etwa mit OmeschnĂčĂčn wiedergeben. Erstmals erscheint der Name urkundlich im Urbar von 1537, wo es auf S. 4 heisst: «  stost sonnenhalb an Uoli Schlegel Z maschnĆÂ» (hier vertritt das Strichlein ĂŒber dem -o nach alter Schreibtradition das ausgelassene ‑n). Darauf erscheint bis 1614 mehrfach die Schreibung maschnon, ab 1681 dann folgen amaschnun, amenschnon, im 18. Jh. auch verschriftdeutschendes Amaschnaun (dessen Diphthong -au- aber nie gesprochen wurde).

Als Schreibform galt im 20. Jh. vielfach Maschnu, im teilweisen RĂŒckgriff auf die ursprĂŒngliche Namensform. Die Weglassung des -n hatte allerdings den Nachteil, dass damit die Betonungslage im Namen verwischt und auch die NasalitĂ€t des Tonvokals in der Schreibung «unterschlagen» wurde.

David Heinrich Hilty, der sich 1890 mit dem Namen beschĂ€ftigte, schrieb, dass sich die Örtlichkeit in unsicherem GelĂ€nde befinde, indem von Zeit zu Zeit dort Erdrutsche zu gewĂ€rtigen seien. In der Tat ist das GelĂ€nde um Amaschnun (weiter nördlich und darunter, ĂŒber der Haueten) unruhig, und man weiss (siehe Werdenberger Jahrbuch 1997, S. 147, Anmerkung 21), dass im Winter 1887/88 im Gebiet Schalmenlitte–Schluss–BrĂŒch (also gleich hinterhalb Amaschnun) sich ein grossflĂ€chiger, folgenschwerer Hangrutsch ereignete, der unter anderem auch das 1813 erbaute alte Schulhaus auf Schluss stark beschĂ€digte (es wurde damals sogar angenommen, dass dieses abgetragen werden mĂŒsse, um an anderer Stelle – vorgesehen war das Gut Begglis ĂŒber dem First – neu aufgebaut zu werden, was dann allerdings unterblieben ist).

Blick vom Jörler aus auf das Gebiet Amaschnun (rechts im Bild die zwei Heimwesen dieses Namens) ĂŒber dem verbuschten Steilhang. Im Vordergrund links aussen Weibelagger, darĂŒber das neue Schulhaus, links der Bildmitte das Walmdach des alten Schulhauses von 1813. - Bild: Werdenberger Namenbuch.

Die ErklĂ€rung, die D. H. Hilty (oder eher sein des Romanischen kundiger MĂŒnstertaler Dienstfreund Thomas Gross) zum Namen vorbrachte, blieb allerdings unklar: er dachte an romanisch maschun (surselv. auch mischun), f. ‘HĂŒhnersedel’ (mĂŒnstertalisch auch ‘Wohnung’). Er scheint sich aber dabei nicht schlĂŒssig geworden zu sein, denn gleichzeitig fĂŒhrte er auch ein angebliches muschun (m.) an, das er mit ‘ein grosser Haufen Mauerschutt und Steine’ ĂŒbersetzte. Aus seiner vagen Darstellung geht nicht hervor, welchen der beiden AnsĂ€tze er vorzog und in welchem VerhĂ€ltnis diese zueinander stehen sollten. Hier muss also zunĂ€chst Ordnung gemacht werden.

Das Wort maáčŁchun (miáčŁchun) f. ‘HĂŒhnerstange’ ist bekannt: es geht auf lat. mansione(m) ‘Wohnung’ (eigtl. ‘die Bleibe’, zu lat. manēre ‘bleiben’) zurĂŒck (gleich wie franz. maison ‘Haus’). Aber mit unserem Amaschnun kann es unmöglich verbunden werden, denn das -n- nach dem -sch- lĂ€sst sich mit ihm nicht vereinbaren.

Der zweite Ausdruck in Hiltys Auswahlsendung, das angebliche muschun, hat den Nachteil, dass es gar nicht existiert – aber die Bedeutungsangabe ‘Haufen Steine’ verrĂ€t durchaus, was gemeint war, aber durch Fehlschreibung verwischt wurde, nĂ€mlich romanisch muschnun m. ‘grosser Steinhaufen’, abgeleitet aus romanisch muschna f. ‘Steinhaufen’ auf die «Vergrösserungsendung» -un. Damit sind wir dem Namen Amaschnun nun wirklich auf der richtigen Spur.

Fangen wir also wieder dort an. Hier wiederholt sich, was wir schon öfter bei Namen auf A- oder I-beobachtet haben (siehe die frĂŒher behandelten FĂ€lle Amasis, InggeriĂ€ls, Afasteig, Impelwiza, Anggalrina, HinrigmĂ€l, Amatnez) und was fĂŒr die heimische Namenlandschaft als geradezu typisch gelten kann: Dass sich nĂ€mlich die deutsche OrtsprĂ€position an / in mit dem eigentlichen Namenstamm fest verbunden («agglutiniert») und dadurch zu einer eigenartigen Sprechweise gefĂŒhrt hat.

So sagt der Einheimische: «dort ist Amaschnun» - «ich gehe Amaschnun» (= «ich gehe an Maschnun») - «ich bin Amaschnun» (= «ich bin an Maschnun») - «ich komme von Amaschnun». Wo also die agglutinierte PrĂ€position an (A-) nach den Regeln des Satzbaues hingehört (nĂ€mlich auf die Fragen «wo?», «wohin?»), nimmt sie ihre syntaktische Funktion normal wahr: es wird also keine weitere, «freie» PrĂ€position beigezogen (man sagt also nicht: *«ich bin an Amaschnun»!). Dort aber, wo die an den Namen gebundene PrĂ€position syntaktisch ĂŒberflĂŒssig ist (nĂ€mlich bei «dort ist  » sowie auf die Frage «woher?»), wird sie nicht abgeworfen, sondern bleibt, eben weil agglutiniert, dort als «blindes» Namenselement bestehen - eben: «von Amaschnun». FĂŒr den AuswĂ€rtigen ist dieses System unlogisch und reichlich merkwĂŒrdig, fĂŒr den Einheimischen dagegen ĂŒblicher Sprachgebrauch  – es hat sich hier im Laufe von Jahrhunderten so eingebĂŒrgert.

Geschichte und Bedeutung dieser eigentĂŒmlichen und sprachgeschichtlich bedeutsamen Verschmelzung werden auf dieser Website eingehend beschrieben (unter https://www.werdenberger-namenbuch.ch/werdenberg/sprache/vom-romanischen-zum-deutschen/deutsche-ortspraeposition-verbunden-mit-romanischen-namen/).

Damit ist der Fall geklĂ€rt. Das alte Maschnun ist romanisch muschnun m. ‘grosser Steinhaufen’. Was wir uns unter dem grossen Steinhaufen konkret vorzustellen haben, liegt heute freilich nicht mehr zutage. Wir denken dabei vornehmlich an Lesesteine aus Äckern oder an grössere Feldsteine, die aus dem Wiesland ausgegraben und an geeignet befundener Stelle aufgehĂ€uft worden waren.

Nochmals die Terrasse von Amaschnun (links im Mittelgrund); darunter fÀllt das instabile GelÀnde am vorderen Schlussbach gegen Runggelrun hinunter. Vorne rechts die zwei Heimwesen im Graben. - Bild: Werdenberger Namenbuch.

Das Grundwort muschna f. ‘Steinhaufen’ kommt im BĂŒndnerromanischen ĂŒberall vor, im Engadin und in der Surselva (muschna), in MittelbĂŒnden (mouschna). In BĂŒndner Flurnamen erscheint es hĂ€ufig als Muschna und Buschna, auch in Ableitungen wie Muschnatscha (Tujetsch), Muschnaglias (Cazas), Muschnei (Disentis), Maschnix (Malans) und Muschnuns (Zernez), letzteres ein genaues Abbild unseres Grabser Falles Amaschnun. In unserer Region findet sich der Ausdruck als GelĂ€ndename in Mösma (Eschen), ferner im Namen Schneller (Eschen, Gamprin), der auf Ă€lterem †Maschnella beruht. Schliesslich gehört in dieselbe Sippe der Weilername BĂŒsmig (Sennwald), den wir uns aber fĂŒr eine eigene Darstellung in nĂ€chster Zeit vorbehalten möchten.

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