«Namen sind ungeschriebene Geschichte»

Ampadeila

(Grabs)

So heisst ein recht steiles Heimwesen am untersten Grabser Berg, auf 485-520 m ü. M., das hinter dem Grabser Bach über den Dorfteilen Erlen, Büntli und Geissegg westwärts gegen die Hangterrasse von Amasis ansteigt. Nach Süden stösst das Gebiet an den dort noch steileren Bergfuss genannt Spanna, nordseitig an das Wohngebiet von Maturt. Das Gebiet Ampadeila ist heute im unteren Teil dicht überbaut mit modernen Wohnhäusern. Obgleich sich als Schreibform hat sich im 19./20. Jh. Perdeilen eingebürgert hat, halten wir uns mit der Form Ampadeila an die traditionelle Sprechform, denn sie vor allem ist historisch begründet.

Der Name erscheint erstmals im Grabser Urbar von 1463, dort als Padælen; es folgen 1537 badeilen, 1691 ampadeilen, 1750 bardeilen, 1765 Ampertheilen. In den ältesten Belegen tritt uns noch die ursprüngliche, als romanisch erkennbare Form ohne die vorne angehängte deutsche Ortspräposition an (an Padeila > Ampadeila) entgegen. Dieses ältere Padeila (ohne Am-) ist im 19. Jh. dann wieder aktiviert worden und hat sich als Schreibform Perdeilen bis in die Gegenwart halten können. Was die Natur des dem ursprünglichen Namen beigefügten An- (bzw. hier Am-) angeht, so genüge hier ein Verweis auf gleichartige, hier bereits früher abgehandelte Namenbeispiele (Nr. 10: Amasis, 17: Afasteig, 28: Anggalrina, 38: Amatnez, 44: Amasora); die betreffende Problematik wird auf unserer Website auch ausführlich erläutert (unter https://www.werdenberger-namenbuch.ch/werdenberg/sprache/vom-romanischen-zum-deutschen/deutsche-ortspraeposition-verbunden-mit-romanischen-namen/). Sie muss uns daher hier nicht weiter beschäftigen.

Von Amasis herunter erblickt man das Gehöft im Gebiet Ampadeila. Bis zu ihm herauf ist der ganze untere Hang mit neuen Wohnhäusern überbaut. Im Mittelgrund die Häuser vonFeldgatter, Feld und (dahinter) Dorfengraben. Bild Werdenberger Namenbuch.

Daher sprechen wir im folgenden nur vom Kernnamen /Padeila/. Bei diesem fällt auf, dass das «r» der (jungen) Schreibform Perdeilen in keinem der ältesten Belegen vorkommt. Es scheint also, dass dieser Konsonant gar nicht zum alten Lautbestand gehörte, sondern sich vor dem «d» als sogenannter Sprosslaut, also von selber, in die Aussprache eingeschoben hatte (was oft vorkommt, so etwa auch in den Namen Portnol Sevelen oder Iverturst Grabs). Diesen Mechanismus gilt es auch hier im Auge zu behalten; der Fall macht auch einmal mehr deutlich, dass die in den Schulen vor hundert Jahren als verbindlich erklärten amtlichen Schreibformen oft gar nicht auf der ursprünglichen Überlieferung beruhten und nicht stets unbedingten Heimatschutz verdienen.

Unsere gewohnte Frage nach älteren Forschungsergebnissen zum vorgestellten Namenproblem ist diesmal rasch abgetan. David Heinrich Hilty erwähnt zwar den Namen Pardèila («Gut am Grabser Berg»), äussert aber keine eigene Meinung zur Herkunftsfrage. Andere Wortmeldungen fand ich nicht, damals vor 50 Jahren, als ich den Fall erstmals unter die Lupe nahm.

Woher stammt der Name? Ich habe ihn zurückgeführt auf rom. palüd f. ‘Sumpf, Moor, Ried’, bzw. auf eine Ableitung dazu, nämlich altromanisch palüdaglia, was als ‘Riedgebiet’ zu verstehen ist. Diese Form, die auch in Bündner Namen häufiger vorkommt, muss bei uns zu p’lüdaglia zusammengezogen worden sein, woraus nach dem Sprachwechsel dann *pladaila und schliesslich padeila wurde. Die letztere Vereinfachung erklärt sich dadurch, dass die Aufeinanderfolge von zwei «l» im Wort in der Aussprache als störend empfunden wurde, weshalb das erstere kurzerhand überhupft wurde; man nennt diesen Vorgang Dissimilation).

Infolge der dichten Bebauung ist es recht schwierig, einen unverstellten Blick auf den uns interessierenden Hang zu erhalten. Das beige spitzgieblige Haus liegt in Ampadeila. Bild Werdenberger Namenbuch.

Nun erhebt sich allerdings eine sachliche Frage: Wo war das Ried? Sicher nicht am Hang über dem Dorfgebiet, wohin der Name heute gehört, sondern vielmehr auf das unten am Hangfuss angrenzende flache, seinerzeit immer wieder überschwemmte Gebiet hinter dem Grabser Bach! So war es: Padeila war die ältere Bezeichnung des Dorfquartiers, das heute in der Erlen (älter hiess es richtig: in den Erlen) genannt wird.

Kurz zum Namen Erlen: Auch dieser passt gut in die Gegend am Bach. Bekanntlich wächst die Erle vorwiegend an Gewässerrändern oder in Feuchtgebieten, wo sie oft als Pionierpflanzen und als Uferschutz anzutreffen sind. Das trifft auch hier ausgezeichnet zu auf die damaligen Realverhältnisse.

Mit dem Sprachwechsel zum Deutschen kam für dieses damals noch lange nicht bewohnte Gebiet Padeila am stets unsicheren Bachlauf also neu die Bezeichnung in den Erlen auf. Dies führte dazu, dass der alte, romanische Gebietsname nun örtlich verschoben, an den Hang gedrängt wurde, dorthin, wo er heute gilt. Zwar passt er mit seiner Wortbedeutung dort gar nicht eigentlich hin (denn der Berghang ist dort überhaupt nicht riedig) – aber das störte die mittlerweile deutsch sprechenden Grabser nun in keiner Weise, da sie die Wortbedeutung von Padeila gar nicht mehr erkannten. Entsprechende Verschiebungen von Namenzonen kommen übrigens unter ähnlichen Voraussetzungen auch anderswo durchaus vor.

Im Dorfquartier Erlen in Grabs, vor der Geissegg. Von der Brücke über den Grabser Bach aus blicken wir gegen den Grabser Berg, am Hangfuss links im Bild liegt Spanna, rechts aussen Ampadeila. In alten Zeiten muss sich der Name Ampadeila auf das Gebiet am Bach bezogen haben. Bild Werdenberger Namenbuch.

Interessant ist nun noch das Folgende: Im Walgauer Dorf Nenzing zwischen Feldkirch und Bludenz liegt eine Örtlichkeit namens Badaila, und das ist eine genaue Entsprechung zu unserem Namen. Es handelt sich dort um ein teils ebenes, riediges Wiesen- und Waldgelände zwischen Nenzing und Beschling. Was uns hier besonders entgegenkommt, ist der Umstand, dass beim Nenzinger Fall die historischen Belege schön die durchlaufene Entwicklung von rom. palüdaglia bis zu Badaila nachzeichnen, was uns ohne jeden Zweifel berechtigt, dieselbe auch für unser Ampadeila vorauszusetzen. Die Nenzinger Urkundformen von Badaila lauten: 1420 Blydayglen, 1503 pladayglen, 1519 Padailen, 1540 Badailen, usw. Im Erstbeleg sieht man noch deutlich das rom. palüdaglia (als synkopiertes p’lüdaglia) durchscheinen. Und in der Form von 1519 Padailen zeigt sich erstmals der Ausfall des ersten -l- (pladaila > padaila), also der Dissimilationsvorgang, den wir auch oben für unseren Fall festgestellt haben. Badaila in Nenzing und unser Ampadeila haben sich also im Namenkern genau gleich entwickelt, und damit steht fest, dass unser Fall kann als gelöst abgeschlossen werden kann.

Der Blick auf den Parallelfall im Walgau veranlasst uns noch zur Schlussbemerkung, dass die ebenso von der romanischen Vergangenheit geprägte Namenlandschaft der Walgauer Gemeinden immer wieder ganz erstaunliche Ähnlichkeiten mit den uns im Werdenberg vertrauten Verhältnissen aufweist. Das mag den heutigen Betrachter verwundern, wissen doch heutzutage viele kaum mehr etwas von unseren Nachbarn im südlichen Vorarlberg. Das war früher einmal anders: das südliche Vorarlberg und auch Liechtenstein hatten im Lauf des Mittelalters und in der frühen Neuzeit eine sprachlich-kulturelle Entwicklung genommen, die der werdenbergischen oft bis in Details gleicht. Hierbei mag es nützlich sein, sich nochmals die Karte mit dem einstigen Herrschaftsgebiet der Werdenberger und Montforter im 14. Jh. anzusehen (unter https://www.werdenberger-namenbuch.ch/werdenberg/geschichte/die-verdeutschung-raetiens/die-grafschaft-unterraetien-ihr-zerfall/).

Jüngere geschichtliche Entwicklungen haben die einstmals zusammenhängenden Gebiete dann aber getrennt, und der Rhein wurde zu einer zeitweise fast hermetischen Grenze. Deshalb gerieten die alten territorialen und kulturellen Zusammenhänge in der einstigen Grafschaft Unterrätien in Vergessenheit, und die jüngere Geschichte hat dann die Teilgebiete durch manch trennende Entwicklungen wieder je anders geprägt. Aber die alten Gemeinsamkeiten leben noch weiter, oft unerkannt und den meisten unbewusst. Sie wieder neu herauszuarbeiten, dafür braucht es freilich einen geschärften Blick und ein gezieltes Vorgehen mit überregionaler (hier also internationaler) Perspektive. Hier wartet der Forschung jedenfalls noch ein interessantes Feld.

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