«Namen sind ungeschriebene Geschichte»

Azmoos

(Wartau)

Was ein rechter Werdenberger ist, der weiss, dass man mundartlich korrekt «Atzmes» sagt – mit Betonung des «A». Die von der Schriftform abgeleitete Aussprache mit umgestellter Betonung auf «-moos» ist jung. Die Ă€lteste bekannte ErwĂ€hnung des Namens 1414 schreibt «atzmans»; 1531 erscheint dann bereits «Atzmas». In einem Beleg von 1737 stossen wir erstmals auf die Schreibung «atzmoos» als VorlĂ€ufer der heutigen offiziellen Form. Doch dieses «-moos» wirkte sich noch lange Zeit nicht auf die Sprechform aus: erst in der zweiten HĂ€lfte des 20. Jhs. beginnt es in der Aussprache hervorzutreten. Denn heute glauben viele Leute, die Schriftform sei massgebend auch fĂŒr die Aussprache, und halten dann die hergebrachte Mundartform eher fĂŒr «falsch» - in Anlehnung an die von der Schule vermittelte Dominanz des Hochdeutschen ĂŒber die Mundart. Diese lĂ€sst sich allerdings nicht unbesehen auf unsere GelĂ€ndenamen ĂŒbertragen. Hier ist KlĂ€rung angebracht.

Das Kirchdorf Azmoos gehört zu den schönsten Dorfsiedlungen der weiteren Umgebung. Es ist ein ĂŒberaus stattliches Haufendorf zwischen TrĂŒbbach und Malans, mit herrschaftlichen Steinbauten, darunter eines der bemerkenswertesten RathĂ€user des Kantons. Der alte Dorfkern, auf dem nördlichsten Teil des TrĂŒebbach-SchuttfĂ€chers gelegen, schmiegt sich eng an den Berghang, der unten mit Reben, weiter oben mit Wald bestockt ist. Die 1735 erbaute Kirche (die zweite Pfarrkirche der Gemeinde neben jener von Gretschins) steht, weil jung, ausserhalb des Dorfkerns an dessen SĂŒdrand. Verheerende Brandereignisse haben hier mehrfach (1716, 1819 und 1831) gewĂŒtet. Die Weberei Azmoos, ein frĂŒher Industriebetrieb nordwestlich des Dorfes, liegt, leicht erhöht, ĂŒber dem flachen Azmooser Riet, besetzt dort einen kleinen SchuttfĂ€cher, der dem Malanser Tobel vorgelagert ist.

Bereits im Artikel Föseren (Buchs) lernten wir den Werdenberger Lokalhistoriker und Major David Heinrich Hilty (1851-1915) kennen. Aus dessen Nachlass wurde 1926 das BĂŒchlein «Geschichtliches ĂŒber Burg, Stadt und Burgerschaft Werdenberg» (mit weiteren AufsĂ€tzen) veröffentlicht. Dort erklĂ€rt er (S. 114), dass der Dorfname Azmoos auf den altdeutschen Vornamen «Az oder Azzo» zurĂŒckgehe, der sich mit lateinisch mansio ‘Herberge, Station’, evtl. lateinisch mansus ‘Landgut’, verbunden hĂ€tte: Also ‘Herberge (oder: Gut) eines Mannes namens Azzo’. (Dies ist allerdings schon aufgrund der Wortstellung ganz ausgeschlossen.) Hilty fĂŒgt noch, sichtlich entrĂŒstet, bei: «Ein Hohn ist es, jene am Fusse des Berges sich sanft anschmiegenden HĂ€nge mit ihren lachenden GĂ€rten, saftigen Wiesen, ĂŒberhaupt jene herrlichen Gefilde, auf denen das stattliche Pfarrdorf Azmans liegt, ein ‘Moos’, wo Rinder â€˜Ă€zen’, d. h. ‘weiden’, zu nennen.» Doch vielleicht haftete dieser heutige Dorfname ursprĂŒnglich eben am unweit nördlich des Dorfes gelegenen Azmooser Riet, womit Gabathulers EntrĂŒstung in die falsche Richtung zielt.

Die Kirche von Azmoos wurde im Jahr 1735 erbaut. - Bild: Hans Stricker.

Hiltys ablehnende Bemerkung zu einem Deutungsansatz «Moos, wo Rinder Ă€zen» zeigt, dass eben diese ErklĂ€rung des Dorfnamens schon damals in der Luft lag. In der Tat hat bereits um 1900 das Schweizerische Idiotikon (in Band 4, 470) den Namen Azmoos aufgefĂŒhrt unter dem Wort Mos ‘Moor, feuchtes, sumpfiges Land, auf dem nur kurzes Streuegras wĂ€chst’: «Zusammensetzung von Az- mit deutsch Mos». Auf den Namenteil Az- wurde dort nicht weiter eingegangen; es heisst nur allgemein, dass im ersten Namenteil solcher Zusammensetzungen mit -mos oft ein Personenname stecke, teils auch drĂŒcke dieser erste Teil Beschaffenheit, Lage, Bezug zur Pflanzen- und Tierwelt usw. aus. In dem nach 1880 erschienenen Band 1, 623 desselben Werks findet sich in der Tat ein altes deutsches Wort Atz (m.?) ‘Speise, Futter der Tiere’, dort aber ohne einen Bezug auf unsern Dorfnamen. Mit diesem Atz hĂ€ngen auch die Mundartwörter Atzig f. ‘Atzung, Weide und Futter fĂŒr das Vieh’ (ursprĂŒnglich allgemein ‘Nahrung, Lebensunterhalt’) und etzen ‘(Gras) abweiden, (Heu) aufzehren’ zusammen. Diese Spur mĂŒssen wir im Auge behalten.

Im Historisch-Biographischen Lexikon der Schweiz (1921), Band 1, 509, wird ebenfalls ein Personenname Atzo angesetzt: ‘Moos des Atzo’.

Diese DeutungsansĂ€tze werden nun von unserem Heinrich Gabathuler – den wir schon bei der Behandlung der Namen Prapafir und Federen kennengelernt haben – um neue, allerdings ganz aussichtslose Varianten angereichert. Im BĂŒchlein von 1928 (S. 65) teilt er Azmas auf in das deutsche Atz- (zum Verb etzen ‘abweiden’) sowie einen Namenteil -mas, in dem er einen indogermanischen Stamm mas- (fĂŒr ‘nass, saftig’) sehen will. Dieser eigenartige Mix soll nach ihm ‘feuchte Etzmatte’ heissen. In der zweiten Auflage von 1944 wiederum möchte er Az- auf ein althochdeutsches ezisc ‘Saatfeld’ zurĂŒckfĂŒhren und den zweiten Namenteil auf ein ahd. maz ‘fertige Speise’ – was dann ‘saftiges Saatfeld’ bedeuten sollte. Als Variante denkt er zusĂ€tzlich auch an ein deutsches Ätzmad ‘Weidewiese’ (zu deutsch Mad ‘MĂ€hwiese’). Was nun?

Bei der Wertung all dieser Versuche ist hier in erster Linie einmal die allgemeine geschichtliche Situierung, die dem Dorf Azmoos zukommt, zu bedenken. Dass der Name der Siedlung erst im frĂŒhen 15. Jh. erstmals in Erscheinung tritt, spĂ€ter als die der Bergdörfer der Gemeinde, ist sicher kein Zufall. Offensichtlich entstand eine Dorfsiedlung Azmoos erst im Lauf des Mittelalters – also weit spĂ€ter als die Bergdörfer mit ihren vordeutschen, teils gar vorromanischen Namen. Einen Hinweis darauf, dass das in jĂŒngerer Zeit so stattliche Dorf Azmoos erst verhĂ€ltnismĂ€ssig spĂ€t seine heutige Bedeutung erlangte, bietet auch der Umstand, dass es bis ins 18. Jh. keine Kirche besass (abgesehen von einer dem hl. Niklaus geweihten Kapelle aus dem Hochmittelalter). Das könnte bedeuten, dass die UrsprĂŒnge der Dorfsiedlung Azmoos (Ă€hnlich wie diejenigen von Sevelen) in das ĂŒberlieferungsarme 11. Jh. fallen, als hierzulande mit der Einwanderung alamannischer Siedler die Talsohle und der talnahe Raum vermehrt urbar gemacht wurde.

Aufgrund all dessen lĂ€sst sich folgern: Azmoos als Name ist deutsch. Die Bezeichnung galt ursprĂŒnglich dem nahen Azmooser Riet und bedeutet: ‘Riedland, das beweidet wird’. Erst in zweiter Linie wurde sie auf die neu entstehende Dorfsiedlung ĂŒbertragen – Ă€hnlich wie auch das benachbarte Dorf TrĂŒbbach seine Bezeichnung vom gleichnamigen Bach bezogen hat.

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