Ein ausgedehntes Waldgebiet am obersten Buchser Berg, eher schattenhalb gelegen auf 1320-1400 m Meereshöhe, hinter dem Imalbuner Undersess und nordwestwĂ€rts bis an die Grenze zur Gemeinde Grabs sich erstreckend, etwa 800 m östlich ausserhalb des Talgrundes der Grabser Alp Ivelspus. Der Einheimische sagt «in der Bellwiti»; er erkennt also den Namen als Zusammensetzung von (unbekanntem) Bell- und dem deutschen Wort Weite, bzw. mundartlich Witi, letzteres zu ĂŒbersetzen als âweites, offenes Feldâ, auch âWaldlichtung, freier Platz im Waldâ. Das Namenelement Bell- dagegen ist nicht auf Anhieb zu erkennen â ja, es bleibt sogar unklar, ob es deutsch oder romanisch sei. ZunĂ€chst bleibt da viel Raum fĂŒr Spekulationen.
Doch hier kann uns die systematische Archivarbeit weiterhelfen, wie sie in der Namenforschung zum normalen Arbeitsprogramm gehört. Es fand sich nĂ€mlich im Staatsarchiv St.Gallen eine Urkunde vom 12. September 1710 (unter der Signatur AA 3a U 39), welche die Marchensetzung zwischen Buchs und Grabs zum Inhalt hat. Dort steht der aufschlussreiche Satz, dass «der Brunen selbiges Ohrts nit also geheiĂen, wohl aber dort herumb VallbĂ«ll weite genandt worden». Damit ist es schlagartig hieb- und stichfest: Die Bellwiti hiess Ă€lter Vallbellwiti, und der ganze Name bedeutet etwa: âfrei liegende WeideflĂ€che bei Valbellâ (möglicherweise: âzu Valbell gehörigâ). Und an einer anderen Stelle im erwĂ€hnten Dokument findet sich der Satz: «âŠunder einem felsen ob der jenigen weite welche noch heutigen tags heisst Vallbell». Aus Valbell- wurde also unser Bell-: Dem Namen ist in jĂŒngerer Zeit die erste Silbe abhanden gekommen.
Sprachlich ist die Sache klar: Vallbell ist romanisch val bella âschönes Talâ. Das ist sicher - was aber ist damit gemeint? Auf welche Ărtlichkeit bezieht sich dieser Grundname? Viele plausible Möglichkeiten gibt es dort oben nicht! Es spricht alles dafĂŒr, dass die Alp Ivelspus â auf Grabser Boden â gemeint ist, die heute auch einfach das «Tal» genannt wird! Wo sonst wĂ€re dort oben ein Ort zu finden, der sich als «schönes Tal» bezeichnen liesse? Mit dieser Feststellung sind allerdings gleich einige Fragen verbunden, die sich leider nicht restlos beantworten lassen:Â
Der Buchser Berg (links) wird vom Studner Berg getrennt durch die Tobel des Studner Bachs und (links von ihm) des Logners. - Bild: Hans Jakob Reich.
Da ist zum einen die Frage, warum der alte Name Valbell(a) fĂŒr das eigentliche Alptal abgegangen ist und durch das â ebenfalls romanische â Ivelspus ersetzt wurde. Anscheinend waren beide Bezeichnungen zunĂ€chst nebeneinander gebrĂ€uchlich, allerdings wohl nicht fĂŒr ganz dasselbe â verraten sie doch eine unterschiedliche Optik: Die Bedeutung des Namens Valbell(a) trifft nur zu auf den urbarisierten und schon lĂ€nger als Alpweide genutzten Talgrund (nur der ist «schön» aus bĂ€uerlicher Sicht). Der Name Ivelspus (< val tscheppusa âTal mit BaumstrĂŒnken, Holzstöckenâ) dagegen passt dann eher zu dem (damals) frisch gerodeten, noch mit Wurzelstöcken ĂŒbersĂ€ten Teil der heutigen Alp - man denkt da unwillkĂŒrlich etwa an den nordwestlich ĂŒber den AlpgebĂ€uden gegen die Alp Gampernei ansteigenden Steilhang namens Wuest, dessen Name sinngemĂ€ss in dieselbe Richtung weist: Wuest (mittelhochdeutsch der wuost) ist ja eine RĂŒckbildung zum Adjektiv wĂŒst âunbebaut, leer, ödeâ; es passt genau zu einem Ort mit wild durcheinander wachsenden Pflanzen oder zu einem GelĂ€nde, das mit Steinen oder Stöcken ĂŒbersĂ€t ist. Es wird hier auch klar, dass diese Alprodung noch von unseren romanischen VorvĂ€tern ins Werk gesetzt worden bzw. begonnen worden war, also wohl noch im ersten nachchristlichen Jahrtausend stattgefunden hat.
Eine zweite Frage stellt sich in Bezug auf die Grenzlage des Gebiets IvelspusâBellwiti zwischen Grabs und Buchs: Ivelspus (das alte Valbell) liegt bekanntlich auf Grabser Gemeindegebiet, wĂ€hrend die Bellwiti zu Buchs gehört. Allerdings war der Grenzverlauf vielleicht nicht stets derselbe, oder er war noch nicht klar festgelegt. Dass er zumindest umstritten war, darauf gibt es sichere Hinweise: So gab es im Jahr 1477 einen Prozess zwischen den Gemeinden Buchs und Grabs um die Nutzung von Ivelspus â offenbar nach langen Streitereien.Â
Im Ortsarchiv Grabs finden sich vier Urkunden aus dem Jahr 1477, welche diesen Nachbarschaftsstreit zum Gegenstand haben. Beide Seiten versuchten natĂŒrlich ihre AnsprĂŒche zu begrĂŒnden, und da zeigt es sich exemplarisch, wie viel Gewicht in solchen Auseinandersetzungen der Aussage eines vereidigten Zeugen beigemessen wurde.
So berichtete ein Diepolty Kaisser: «[âŠ] er sy ein kind gesyn, ein knab der tagen, das er in der allp Vallspus heig fech gehĂŒtt, und heigint die von Graps do zemol den einig gehalten [= âdas Gebiet innegehabtâ] in der selben alp Vallspus [âŠ], nit anders si jm zu wissen».
Ein Claus Haldner sagt aus: «[âŠ] das er by Jossen Wilhelmen knecht sy gesyn, do habent sy den zechenden [= die Zehntenabgabe] gezogen uff aim zugschlytten, do hat er gefraugt, war umb man das holtz nit howy uff Rutzstein [am unteren Buchser Berg, ĂŒber Muntaschin]. Do sprach er [der Meister], die burger von Werdenberg lond es nit howen. Och hat er me geredt das die Spitzen in den Studen [= die Sippschaft namens Spitz im Dörfchen Studen, Grabs] Jnveltspus alweg waydettynt und hat nie gehört das die von Buchs kain recht noch kain ainsprauch [= Einsprache] da hettind, und hat das gesechen und gehört vor den viertzig Jaren».
Ein weiterer Zeuge, der fĂŒr den Grabser Anspruch aussagt: «Vff d[a]z so ist fĂŒr gestanden der obgenant Kristen Giger, ain man wol by sibenzig Jaren oder elter vnd haut [= hat] offenlich in gericht gesagt er hab vor langer zitt gehört sagen d[a]z die alpp Vilspuns ain almain gewesen sy. Darnach vor der mannschlacht zu Ragatz [1446, Schlacht bei Ragaz im Alten ZĂŒrichkrieg] habend sy dz zu ainer alp gemacht, und die vss den Studen [= die Bauern aus dem Dörfchen Studen, Grabs] habend die alpp besetzt und vnd gebrucht [âŠ]».
Schliesslich erklĂ€rt ein Hans Lippuner: «⊠es sye wol ungevarlich by zway und zwantzig Jaren das er sye gewesen Ruodolffen Vittlers seligen knecht zway jar, do habe er nie annders gehört noch gesechen dann das die von Graps und Werdenberg die alp Valspuns mit irem vich besetzt [= bestossen] und entsetzt [= entladen] haben one jrung [= Störung, Einspruch] dero von Bux. Ouch so habe do zumal amman Vitler gehebt zwen knecht mit den[en] sye er dick [= hĂ€ufig] gefaren und si mit inen die Rutz [am unteren, hinteren Buchser Berg] uff bis an Valspuns und haben da holtz gehowen und dannen gen Werdenberg jn jren maister hĂŒsser gefĂŒrt und inen das weder die von Bux noch niemann gewert habe».
Aufgrund dieser Zeugenaussagen wurde im Jahr 1477 die Alp Ivelspus der Gemeinde Grabs endgĂŒltig gerichtlich zuerkannt, und wir erfahren gleichzeitig, dass bis ins 15. Jh. hinein Ivelspus Allmend (Gemeindeflur, Gemeinweide) war und erst dann zur Alp gemacht wurde.
FĂŒr die Zeit davor aber mĂŒssen wir offensichtlich davon ausgehen, dass das Nutzungsrecht bzw. das Grundeigentum in diesem Gebiet strittig war, dass â vielleicht seit alters â die Rechtslage ungeklĂ€rt war. In diesem Licht kann aufgrund des Namens Bellwiti die Ăberlegung noch weitergefĂŒhrt werden.
Wir haben eingangs den Namen gedeutet als: âfrei liegende WeideflĂ€che bei Valbellâ, möglicherweise gar: âWeideflĂ€che, die zu Valbell gehörtâ. Und es wurde festgestellt, dass unter Valbell (dem «schönen Tal») kaum etwas anderes zu verstehen sein wird als der Talgrund der Alp Ivelspus. Es stellt sich also die Frage, ob der Weidebereich von Ivelspus (dem alten Valbell) sich einstmals weiter ostwĂ€rts hinaus erstreckt hatte, nĂ€mlich bis auf den HangrĂŒcken des oberen Buchser Bergs? Dass dieser heute bewaldet ist, tut dabei wenig zur Sache, denn er muss, wie das Wort Witi klarmacht, ja einmal â zumindest streckenweise â freigerodet gewesen sein. Doch weiter kommen wir hier nicht. Vielleicht war die Abgrenzung der beiden Gemeindeterritorien in der Tat nicht stets dieselbe, wie wir sie heute kennen - oder diese Abgrenzung war vielleicht sei jeher noch gar nicht endgĂŒltig definiert? Genaues und Sicheres lĂ€sst sich aus den erkennbaren Fakten dazu nicht erschliessen. Aber forschen heisst eben nicht nur, Probleme zu lösen, sondern immer auch, Fragen neu zu stellen.
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