«Namen sind ungeschriebene Geschichte»

Bofel

(Buchs)

In der Talebene zwischen Oberräfis und Burgerau, östlich der Bahnlinie, liegt das Wies- und Ackerland, welches seit alters Bofel genannt wird. Schon im Buchser Urbar von 1484 (S. 15) heisst es: «… vnd dann by dem Ryn vff vntz [= bis] obnen vff den Bofil vnd denn zwischen dem Bofil vnd dem guot das haisst die Waid hinuff». Und in einer Urkunde von 1488, in der ein Güterverkauf festgehalten wird, steht: «Jtem Hans und Crista die Sennen gebrüder Jr guot genant Waid obnan uffem Bofil och jn Buxer kilchspel gelegen». Die Zitate bezeugen also für erwähnten Raum die Nachbarschaft der beiden Namen Bofel und Weid. Diese stehen, wie wir weiter unten sehen werden, auch sachlich in enger Beziehung zueinander. Bis heute überlebt hat als Name nur Bofel; die Bezeichnung †Weid ist dort als Name nicht mehr bekannt.

Das Gebiet im Bofel bei der Burgerau war in früheren Zeiten oftmals gefährdet. Im Werdenberger Urbar von 1543 (S. 58) steht: «Jtem ein stucky uff dem Bofil gelegen hatt der Rhin hinweg» - das heisst, der Rhein hatte es überführt und verwüstet. Solches geschah nur zu oft; noch bis ins 18. Jahrhundert blieb ja der flussnahe Talboden den Hochwassern des Rheins ausgesetzt. Erst die Rheinkorrektion des 19. Jahrhunderts schaffte hier Abhilfe.

Blick auf Räfis (links) und Burgerau (rechts oben). Der Bofel liegt östlich der Bahnlinie, unterhalb der Burgerau. - Bild: Hans Jakob Reich.

Rücken wir nun dem Namen Bofel etwas näher auf den Leib! Kommt er auch anderswo vor? Durchaus – er findet sich praktisch in jeder Gemeinde des altromanischen Raumes. Diese weite Verbreitung als Flurname hängt mit dem Umstand zusammen, dass Bofel auch als Begriffswort in die alemannischen und tirolischen Mundarten eingegangen ist (mit den Bedeutungen ‘Weide’, ‘Baumgarten’, ‘steiler, mit Gebüsch bewachsener Hang’, ‘dritter Graswuchs’, ‘kurzes Gras’). Zeugen dieses Wort- und Namentyps finden sich denn überall in Deutschbünden, in Liechtenstein, im St.Galler Rheintal von Ragaz bis Diepoldsau, in Vorarlberg vom Walgau bis hinunter nach Altach bei Hohenems, schliesslich als Pofl auch in Südtirol von Reschen bis ins Pustertal.

Auch die Bündner Romanen kennen natürlich das Wort: bual bedeutet bei ihnen ‘Weide, Herbstweide, Gemeinatzung; Heimweide’, auch ‘Herbstgras, dritter Schnitt’. Entsprechend ist es auch als Flurname in den romanischen Tälern Bündens gebietsweise in grosser Dichte vertreten.

Die weite geographische Verbreitung des Ausdrucks legt die Annahme nahe, dass er in die ersten christlichen Jahrhunderte zurückreicht: Rätolateinisch bovale ‘Ochsenweide’ ist abgeleitet von lat. bos (bovis) ‘Ochse’. Im Alträtoromanischen galt die Form boval, und darauf beruht unmittelbar (durch Schwund des -v-) das heutige romanische bual.

Daneben wurde das Wort aber im alten Rätien auch in die sich ausbreitenden deutschen Mundarten übernommen. Dies muss früh (noch vor 1100) geschehen sein, nämlich noch in althochdeutscher Zeit – soviel lässt sich der «eingedeutschten» Betonung als Bofel (mit Akzentrückzug) entnehmen.

Meist trifft man den Ausdruck in der Form Bofel an: in Deutschbünden, Wartau, Gams, Sennwald, Liechtenstein und einem Teil Südvorarlbergs. Daneben erscheint es auch als Bufel, nämlich am Grabser Berg und mehrfach im Walgau (Satteins, Schlins und Bürs) - ähnlich wie es zu dem hier schon behandelten Chobel auch eine Nebenform Chubel gibt.

Nun noch zur Bedeutungsentwicklung: Ausgangspunkt ist natürlich die ‘Ochsenweide’ (als eine vom übrigen Weideland geschiedene Zone). Dann wurde der Ausdruck zunehmend verallgemeinert zur ‘Heimweide’, zur ‘Gemeinatzung’ überhaupt; der ursprüngliche Bezug auf die Ochsen als Weidetiere trat also ganz in den Hintergrund. Deshalb erstaunt es nicht, wenn nun da und dort wieder eine (vermeintlich pleonastische, also bedeutungsgleiche) Zusammensetzung †Ochsenbofel auftritt: so geschehen in Grabs und Buchs als – mittlerweile wieder ausgestorbener – Flurname mit der Bedeutung ‘Ochsenweide’.

Gelegentlich nahm (wie schon erwähnt) das Wort Bofel sekundär auch weitere Bedeutungen an: ‘Baumgarten’, ‘steiler, mit Gebüsch bewachsener Hang, ‘dritter Graswuchs’, ‘kurzes Gras’. Hier hat sich die Optik mehr auf die Art der Vegetation, wie sie für das den Ochsen zugeteilte Weideland typisch ist, verschoben.

Ob nun in unserem Namen Bofel bei Burgerau noch ein altromanischer boval, also eine alte ‘Ochsenweide’, weiterlebt, oder ob er erst nach dem Sprachwechsel dort heimisch wurde (und damit vielleicht bloss allgemein eine ‘Heimweide’ bezeichnete), lässt sich heute nicht mehr entscheiden; vermuten kann man durchaus, dass das erstere der Fall ist. Dass dort, am Rand der alten Siedlung Räfis, ausgedehnte Flächen als Weideland genutzt wurden, zeigt neben dem Namen Bofel auch die eingangs erwähnte örtlich benachbarte, ausgestorbene, aber sinnverwandte Flurbezeichnung †Weid.

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