«Namen sind ungeschriebene Geschichte»

Eidenen

(Sennwald)

Heute soll wieder einmal von einem Alpnamen die Rede sein. Die Alp Eidenen hoch über Sennwald liegt am Südosthang des Alpsteinmassivs, unweit südwestlich des Hohen Kastens, zwischen den Alpen Rohr und Wis. Sie ist mehrheitlich im Besitz der Ortsgemeinde Sennwald. Ihre Alpgebäude liegen auf rund 1405 m. Von dort steigt das Weidegebiet steil empor bis zum horizontal verlaufenden grasigen Grat, der auf rund 1630 m ü. M. die Grenze zum Kanton Appenzell bildet und jenseits zur Innerrhoder Alp Soll abfällt.

Unsere Alp namens Eidenen wird in Sennwald als «Aadene» ausgesprochen, in Salez und Sax «Oadene». Der Name taucht erstmals auf in der Urkunde vom 21. Dezember 1492, die im Staatsarchiv St.Gallen (unter der Sigle AA 2a U 6) aufbewahrt wird. Laut diesem Dokument verkaufte Ulrich (IX.) von Sax (1458-1538) den Einwohnern von Sennwald «seinen Berg in der Chelen», der offenbar die Alp Eidenen berührte, denn bei der Beschreibung der Gebietsgrenze heisst es (Zeile 15) wie folgt: «… von dem Knörlj in die blaten und an aidinen vnd an das [unleserlich] …».

Im selben Archiv findet man den Namen der Alp in drei weiteren Dokumenten: In einem Zinsbrief vom Mai 1507 (AA 2a U 7) heisst es (auf Zeilen 5/6): «… vnd dar zuo zway Kuegräs jn a[ ]dinen» (also offenbar das Weiderecht für zwei Kühe in Eidenen). Im Mai 1523 (AA 2a U 10), schreitet dann der schon erwähnte Ulrich (IX.) von Sax-Hohensax zum Verkauf der Alpen Eidenen und Rohr an die dortigen Alpgenossen, «… die recht und gerechtikait hand in den zwäyen alpen genant die ain aidinen die ander im ror, baid in bemelter miner herschaft vorstegg gelegen». Die Veräusserung geschah um 15 Gulden; damit war der jährliche Alpzins von «zway fiertel schmaltz» abgelöst und diese Alpen waren nun «fry, ledig und loß». Noch muss der Adel aber weiter am Besitz von Alpstössen beteiligt gewesen sein, denn am 25. Mai 1598 (AA 2a U 20) verkaufte Freifrau Adriana Franziska von Sax-Hohensax (geborene Gräfin von Brederode [Niederlande] und Witwe des Freiherrn Johann Philipp [1553-1596]) ihren Teil an der Alp «Eidene», nämlich 20,5 Alpstösse, um 200 Gulden Konstanzer Münz und Feldkircher Währung ebenfalls an die Alpgenossen in der Pfarrei Sennwald.

Nehmen wir nun den Namen Eidenen unter die Lupe. Dass in der Sennwalder Mundart das deutsche ei- als aa- ausgesprochen wird, ist in der Gegend nicht unbekannt: Es heisst (oder hiess jedenfalls) dort «e Gaass» (‘Geiss’, wo der Salezer «Goass» sagen würde, entsprechend bei schleipfen, feil, teilen, Laib, Reif, gseit [‘gesagt’] usw.). Die lokale Aussprache von Eidenen als «Aadene» (in Sennwald) bzw. «Oadene» (in Salez, Sax) versteht sich also von selbst. Diese Lautverhältnisse entsprechen übrigens weitgehend denen jenseits des Rheins, wo Eschen und Mauren ebenfalls -ei- zu -aa- machen, während im übrigen Liechtensteiner Unterland ein offenes -oo- gesprochen wird. Zwar muss durchaus nicht jedes mundartliche -aa- auch wirklich auf ein altes -ei- zurückgehen – aber hier ist mit der konstanten Schreibung mit Ei- (ai-) immerhin die entsprechende Spur gelegt, sodass man schon von altem Eid- ausgehen kann.

Die Alpen Eidenen (vorn) und Rohr (in der Vertiefung dahinter). Im Hintergrund der Hohe Kasten. Bild: Hans Jakob Reich, Salez.

Damit ist die Frage gestellt nach der Herkunft des Namens (der so schön in die heimische Mundart hineinpasst): Ist er deutsch? Oder reicht er in ältere Zeiten und Sprachschichten zurück? Verfolgen wir die wenigen bekannten Spuren weiter.

Auf der «Topographischen Karte des Canton’s St.Gallen. Blatt Werdenberg», gezeichnet um 1850 aufgrund der trigonometrischen Vermessungen von Johannes Eschmann (1808-1852), wird der Name als «Heidern Alp (Eidinen)» notiert. Wie die Verwandlung zustande kam, bleibt uns verborgen – vielleicht ein blosser Abschreibfehler, vielleicht aber lag darin schon der Versuch einer Interpretation. Allerdings bleibt da alles im Unklaren. Der Nächste ist David Heinrich Hilty, der sich bekanntlich 1890 mit der Erklärung rätoromanischer Flurnamen der Region Werdenberg befasste. Er hat auch unseren Namen in seine Liste aufgenommen («Eidina»), doch unterliess er einen Deutungsversuch, da er offensichtlich nicht weiterkam. Dann, viel später, 1960, versuchte sich ein Heimatforscher namens Johann Staehelin («Gams in vergangenen Tagen») mit einer romanischen Herleitung: Eidenen sollte auf einem *Erdinaus beruhen und dieses von einem romanischen *Uertin nausch ‘Wildacker’ herstammen – ein schon auf den ersten Blick ganz unbrauchbarer Versuch. Schliesslich ging auch Valentin Vincenz («Die romanischen Orts- und Flurnamen von Gams bis zum Hirschensprung», Buchs 1992) daran, dem Namen mit einer romanistischen Erklärung beizukommen, indem er lat. nitidus adj. ‘glänzend, rein’, daraus rätorom. net ‘sauber, rein’, neidi ‘glatt, fein, eben’ zur Diskussion stellte (er dachte an rätorom. prau neidi ‘glatte Wiese, ohne Unebenheiten’). Jedoch liess er die Idee wieder fallen, da sie, wie er zu Recht feststellte, namentlich mit der Endung von Eidenen sich nicht vereinbaren liess. Er kam zum Schluss, der Name müsse deutscher Herkunft sein, liess es dann aber damit bewenden. In der Tat musste hier germanistisches Know-how weiterhelfen.

Dies geschah dann auch alsbald: Als nämlich der Zürcher Germanist Prof. Stefan Sonderegger die oben zusammengefassten Ausführungen von Valentin Vincenz in dessen neu erschienenem Buch gelesen hatte, griff er am 20. Okt. 1992 zur Feder und kommentierte den Fall in einer brieflichen Reaktion: «Eidenen, wenn alemannisch, müsste … Dativ Plural zu einem fem. -în-Stamm sein, vgl. Rütenen zu Rüti: evtl. zu mittelhochdeutsch eit ‘Feuer’, eiten ‘verbrennen’, dazu Verbalabstraktum Eitî, Dativ Plural alemannisch Eitinen, Eitenen ‘Rodungsstellen, Rodungsalp’». Eidenen also eine durch Brandrodung gewonnene Alp! Damit löste er das bisherige Rätsel in überzeugender Weise.

Noch eine Bemerkung zur heute wenig bekannten Wortfamilie: Eit m. ‘Feuer, Ofen’, eiten ‘brennen, heizen, kochen, sieden’ ist im modernen Deutsch nicht mehr bekannt. Im Alt- und Mittelhochdeutschen aber lebte es noch und bedeutete dort allgemein ‘Glut, Scheiterhaufen, Brandstätte, etc.’. Der Worttyp kommt auch in anderen Teilen der indoeuropäischen Sprachenfamilie vor; so ist er etwa stammverwandt mit lat. aedes ‘Tempel’ (ursprünglich ‘der häusliche Herd’) und mit engl. oast ‘Darre, Dörreinrichtung, Trockenboden’. Und auch das deutsche Wort eitel ‘unnütz, nichtig’ scheint zur gleichen Wortsippe zu gehören: seine ursprüngliche Bedeutung ‘glänzend, scheinend’ wurde dann abgeschwächt zu ‘anscheinend', also 'nicht wirklich’, eben 'unnütz, eitel'. Wir sehen – alle diese Wortbeispiele haben ursprünglich mit dem Begriff des Feuers und dessen Umfeld zu tun.

Blick vom Grat hinunter auf die Alp Eidenen. Bild: Hans Jakob Reich, Salez.

Eidenen – ein verborgener, unerwarteter Zeuge früherer Brandrodung in den einstmals fast endlosen Waldgebieten unseres Lebensraumes – ein deutscher Rodungsname schon, aber viel unbekannter und seltener als etwa die bei uns geläufigen Namentypen deutsch Brand, Schwendi, Rüti, ja sogar unbekannter als entsprechende romanische Namentypen wie Runcal, Gafadura, Ars, Guscha, Prasüra, Tschappina. Doch dazu vielleicht ein andermal.

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