«Namen sind ungeschriebene Geschichte»

Falschnära

(Sevelen)

Unten am vordersten Seveler Berg, in einer Mulde südlich des Hügelsporns Ansa, unweit nördlich der Wartauer Grenze, liegt das Gut dieses Namens. In Sevelen wird er als Felschnära ausgesprochen, von Wartau her Ferschnëra. Geschrieben wird die Ortsbezeichnung in Sevelen heute als Valschnära. Dagegen lauten die älteren urkundlichen Belege noch durchwegs auf Fer-: 1570 Färrschnärren, 1709 auffer schneren, 1752 ferschnären und noch 1801 verschnären. Es tauchen also erste Zweifel auf an der heute wohl allgemein verbreiteten Meinung, der Name enthalte das romanische Wort val ‘Tal’, also wie in Ifelgup (Valcup) in Sevelen. Zwar würde die Lage des Gutes Falschnära in einer talartigen Mulde ja durchaus zu dieser Annahme passen. Aber der Umstand, dass es älter eben Fer- hiess und dass auch die Wartauer Nachbarn auf dieses Fal- oder Val- nicht eingegangen sind, weist doch ganz in die Richtung dieses Zweifels.

Man muss also damit rechnen, dass nicht Fal-, sondern älteres Ferschnära näher am Ursprung der Namenentwicklung steht. Es ist ja gut möglich, dass ein ursprünglicher Namenanlaut Fer- infolge Beeinflussung durch einheimische Namen mit «echtem» Fal- – wie Falnätscha (bei Glat) oder Falpilär (östlich von Rans) – abgelenkt worden ist.

Das ist der Hof Falschnära. - Bild: Hans Jakob Reich.

Und nun zur Frage nach der sprachlichen Herkunft des Namens Falschnära. Werfen wir zunächst wieder einen Blick auf die älteren namenkundlichen Publikationen, in denen dieser Name mehrfach vorkommt. Sie bieten eine recht unterhaltsame Reihe von Erklärungsversuchen, die sich allerdings rasch als untauglich erweisen.

1890 will der Lokalhistoriker David Heinrich Hilty, unterstützt durch seinen romanisch sprechenden Münstertaler Offizierskollegen Thomas Gross, einen Zusammenhang herstellen zu romanisch entscheina ‘Abendweide’ (bzw. münstertalisch intschainas), was natürlich auf den ersten Blick als untauglich erkennbar ist.

Wilhelm Götzinger (1891) glaubt an lateinisches «vallis nera [gemeint: vallis nigra] ‘Schwarztal’» (das auch von Gabathuler 1928 noch erwogen wird); der Ansatz ist allerdings ebenfalls glattweg unmöglich.

Dann kommt Theodor Schlatter (1913) mit einem hausgemachten filiconaria (zu lateinisch filex ‘Farnkraut’), das nach ihm ‘mit Farn bewachsener Ort’ heissen soll.

Ebenfalls ins Reich der Fabel gehört Heinrich Gabathulers (1928 und 1944) Erfindung eines lateinischen «vallis secanaria ‘Tal, in dem gemäht werden kann’» (er stützt sich dabei auf das romanische Verb segar ‘mähen’, das auf lateinisch secare ‘schneiden’ beruht; aber sein secanaria ist wiederum eine Eigenkonstruktion).

Ich selbst habe dann 1974 (bei der Untersuchung der romanischen Namen von Grabs) erstmals auf den Zusammenhang zwischen Falschnära in Sevelen und Averschnära am Grabser Berg hingewiesen. Damit konnte das «Rätsel» gelöst werden: Es liegt im Namentyp Ferschnära eine Baumbezeichnung vor, nämlich lateinisch fraxinus ‘Esche’. Auf romanisch heisst der Baum im Engadin fraischen bzw. in der Surselva fraissen. Aus diesem Grundwort wurde mit der lateinischen Endung -aria eine Ableitung gebildet: fraxinaria, altromanisch fraschnèra ‘Eschengehölz’, ‘Gebiet, wo die Esche verbreitet steht’. Dieses fraschnèra wurde mit dem Sprachwechsel zum Deutschen zu Ferschnära umgestellt.

Wir finden denselben Namentyp auch in Vorarlberg, als Faschnära in St.Gerold, dann auch im Dorfnamen Fraxern (der früh verdeutscht und damit ziemlich stark umgestaltet erscheint). Im Fall von Averschnära in Grabs kam die für das mittlere Werdenberg typische Erweiterung durch die deutsche Ortspräposition (an + Fraschnèra > Averschnära) dazu – wer sich für diese Erscheinung interessiert, lese nach unter: https://www.werdenberger-namenbuch.ch/werdenberg/sprache/vom-romanischen-zum-deutschen/deutsche-ortspraeposition-verbunden-mit-romanischen-namen/.

Schliesslich ist nachzutragen, dass auch der Name des Frümsner Dorfteils Schnara (Gemeinde Sennwald) zu dieser Gruppe gehört, also auch auf ein einstiges Eschengehölz hinweist: Er ist seinerseits durch Kürzung aus Ferschnära hervorgegangen; dieselbe Kurzform Schnära ist übrigens auch am Grabser Berg neben Averschnära gebräuchlich.

Damit endet unser Rundblick. Er führte uns von recht fantastischen Höhenflügen in der Vor- und Frühzeit der seriösen Namenforschung schliesslich wieder zurück auf den Boden der erklärbaren und leicht verständlichen Tatsachen.

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