«Namen sind ungeschriebene Geschichte»

Fies

(Wartau)

So heissen ausgedehnte GĂŒter sĂŒdwestlich ĂŒber Oberschan, unter Plans und Salums, beim Kurhus Ufstig. Das Gebiet ist im unteren Teil steiler, im oberen bildet es eine flache GelĂ€ndestufe. Gleich wie die umgebenden HanggĂŒter (Reggella, Plans, Fereitis, Gernolf usw.) ist auch Fies aus dem umgebenden Mischwald herausgerodet worden. Der Name (der in jĂŒngerer Zeit auch als Vies geschrieben wurde) hat zu mannigfaltigen Spekulationen gefĂŒhrt. Sie sollen hier samt der richtigen ErklĂ€rung kurz dargestellt werden.

FĂŒr Ortsfremde sei noch vermerkt, dass der Name auf dem -i- betont ist, wobei das -e- aber auch mitgesprochen wird (im Unterschied etwa zu Palfris, das richtig nur Palfriis lautet). Doch machen wir uns nun auf die Suche nach der Herkunft von Fies. Um uns einen ersten Überblick ĂŒber seine Entwicklung zu verschaffen, suchen wir auch hier zunĂ€chst nach alten Schreibungen.

Unsere Archive enthalten, namentlich ab dem 16. Jahrhundert, viele schriftliche Zeugnisse, die auf Grund und Boden Bezug nehmen: Urbare, Kaufbriefe, ZinsbĂŒcher, Steuerverzeichnisse. 1801 kam der Helvetische Kataster dazu, der in der Helvetischen Republik nach französischem Vorbild ein zentrales Verzeichnis sĂ€mtlicher GĂŒter in den Schweizer Kantonen anstrebte: das sind grosse Folianten, in denen die ersten systematischen Liegenschaften- und SchĂ€tzungsregister angelegt sind.

Zum Namen Fies bringt die Suche zunÀchst nicht viel Verwertbares: zwei Nennungen aus dem 18. Jahrhundert, nÀmlich 1751 und 1754 beidemal Fiess. Dasselbe im Helvetischen Kataster Wartau, Folium 45 («Fiess: Heuwachs [stösst] an Alpweg»). Man sieht, die Belege entsprechen der heutigen Aussprache; sie helfen uns hier leider nicht weiter.

 

Auf Fies. Das obere Haus ist das Kurhus Ufstig. Im Hintergrund links die Felskette der Flidachöpf. Bild: Hansjakob Gabathuler. 

Sehen wir uns nun bei den Ă€lteren heimatkundlichen Autoren um! Hier wird die Szene sogleich lebhaft – die verschiedensten Ideen werden da lanciert. Der uns schon wohlbekannte David Heinrich Hilty (unterstĂŒtzt von seinem sprachkundigen MĂŒnstertaler Dienstkollegen Major Thomas Gross) tippt 1890 auf das romanische Partizip fess ‘gespalten’, zu dem er auch eine Form *fiess erfindet (weil unser Name ja Fies lautet). Aber da es dieses *fiess eben gar nie gab, fĂ€llt der Deutungsversuch aus sprachlicher Sicht auch gleich wieder dahin - auch ein bedeutungsmĂ€ssig passender Sachhintergrund (etwa eine Felsspalte) wĂ€re dort nicht auszumachen.

Der Romanist Wilhelm Götzinger beschritt 1891 einen anderen Weg. Er vermutete im Namen Fies das lateinische Wort abiete ‘Weisstanne’, aus dessen volkslateinischer Nebenform *ab(i)eteu ja romanisch viez ‘Weisstanne’ entstanden ist. (Wir sind dem Wort im Dezember beim Namen Impelwiza in Grabs schon begegnet.) Hier allerdings lĂ€sst sich das «-z» in viez mit unserem Fies gar nicht vereinbaren; auch dieser Ansatz ist daher nicht brauchbar.

Dann kam 1913 Hermann Schlatter: er zieht einen Namen in Leukerbad herbei, angeblich 1510 als «Via di Fies» irgendwo vermerkt (wo, sagt er nicht). Er vermutet nun, dieser Walliser Name sei (sozusagen im GepÀck der Walser) ins Wartauische gekommen und dann hier heimisch geworden. Das ist nun allerdings hochgradig unwahrscheinlich - zu weit hergeholt, wortwörtlich!

Im Jahr 1924 veröffentlichen U. Adank und J. C. Berger in der Regionalzeitung eine Arbeit ĂŒber Örtlichkeitsnamen in Wartau. Darin wird der Name Fies kurz und bĂŒndig zu romanisch vias ‘Wege’ gestellt. Ganz unsinnig ist das nicht - es gibt tatsĂ€chlich entsprechende Entwicklungen, etwa im Namen Gantafies in Triesen, der dank der urkundlichen Form Danter fies sich leicht auf romanisch tanter vias ‘zwischen den Wegen’ zurĂŒckfĂŒhren lĂ€sst – aber eben in einer prĂ€positionalen FĂŒgung. Bloss das nackte vias allein kann da nicht einleuchten.

Schliesslich bietet auch der Seveler Dorfarzt und Heimatforscher Heinrich Gabathuler (1928 und 1944) eine Palette von weit ausgreifenden VorschlĂ€gen: Er erinnert an den Walliser Dorfnamen Fiesch (im Untergoms) und auch an das oben schon erwĂ€hnte Gantafies (Triesen). Sie alle möchte er zusammen mit unserem Fies auf einen indogermanischen (also: ursprachlichen) Stamm fit, vis, vas, vet (mit der Bedeutung ‘wasser- oder saftreich’) zurĂŒckfĂŒhren, zudem noch auf lateinisch viescere ‘verwelken, verwesen’ und vietus ‘welk’. So hiesse Fies dann etwa ‘gut bewĂ€sserte Wiesen’. Allein, das kann nicht in Frage kommen - wir wissen ja schon, dass Gabathulers kĂŒhne Konstruktionen oftmals ihr Ziel verfehlen. 

Wie also weiter? Hier kommt uns eine weitere urkundliche Form zu Hilfe, die wir uns absichtlich bis jetzt aufgespart haben. Im Jahrzeitbuch Sargans von 1492 wird auf Seite 23 ein «guot zu Oberschan gelegen in Fagieß nempt sich BaschiniĂŸÂ» erwĂ€hnt. Dieser Fund bringt Bewegung in die Sache. Denn da wir wissen, dass Paschinis sĂŒdlich von Fies, beim Kurhus Ufstig, gelegen ist, liegt auch auf der Hand, dass Fagieß nichts anderes als die Ă€ltere Form von Fies darstellt.

Fies – Fagies: Beginnen wir mit dem Ergebnis, das sich dem Fachmann nun klar genug vor Augen stellt! Lateinisch fagus, romanisch fau, heisst die ‘(einzelne) Buche’. Ein ‘Buchenwald’ (wie er bei uns auf dieser Höhenlage allenthalben vorkommen kann), wurde im Lateinischen als fagetum bezeichnet. Daraus wurde im Ă€lteren Romanisch fagieu (favieu). In Flurnamen ist diese Wortform weit verbreitet. Sie lebt etwa weiter in Prafieb (urk. Pradafagiew) in Fideris, oder als Vieus (urk. Vagews) in Ludesch (Walgau).

Hier ist nun auch unser Fies anzuschliessen. Die Form Fagies von 1492 erinnert noch deutlich an das altromanische fagieu(s). Sie ist ĂŒber eine Zwischenform Fawies schliesslich zu *FajĂ­es und schliesslich Fies zusammengezogen worden. Wo heute prĂ€chtige Bergwiesen das Auge erfreuen, stand also noch im ersten Jahrtausend unserer Zeitrechnung ein geschlossener Buchwald. Seither hat der tĂ€tige Mensch die Naturlandschaft stark verĂ€ndert. Auch der Name Fies erinnert uns nun daran, welch mĂŒhevolle Rodungs- und Kulturarbeit unsere VorvĂ€ter zu ihrem und unserem Nutzen, zur Förderung und Ausgestaltung unseres Lebensraumes geleistet haben.

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