«Namen sind ungeschriebene Geschichte»

Föseren

(Buchs)

Wer zur Sommerszeit in die Buchser Badi radelt, ĂŒberquert auf der Rheinaustrasse (die frĂŒher ein Fahrweg war und Maladorfner Rheinweg hiess) die BahnbrĂŒcke, fĂ€hrt durch die Felder, welche Ă€lteren Buchsern als Maladorfner Hanfland bekannt sind, ĂŒberquert den Kanal und taucht in den Auenwald ein. Dieser fĂŒllt hier den Raum zwischen Binnenkanal und Rhein ganz aus. Das StrĂ€sschen zum Schwimmbad zweigt nun nordwĂ€rts ab, und wir sind im Gebiet, das Föseren heisst. Rodungen haben das Waldgebiet lĂ€ngst geschmĂ€lert: nordwĂ€rts das Bad, weiter sĂŒdlich das FussballgelĂ€nde und der Reitplatz. Auenwald, Kanal, Rhein, das sind die Nachbarn des Gebiets Föseren. Sie alle haben mit fliessendem oder stehendem Wasser zu tun. Da passt der Name Föseren gut hinein. Derselbe Name findet sich auch etwas weiter oben, auf Seveler Boden, im Gebiet der heutigen AutobahnraststĂ€tte. Das Föserenwasser ist dort ein kĂŒrzerer Grundwasserbach mit zwei Armen.

Der Werdenberger Lokalhistoriker und Major David Heinrich Hilty (1851-1915) veröffentlichte im Jahre 1890 in der bis heute bestehenden bĂŒndnerromanischen Jahresschrift «Annalas da la SocietĂ  Retorumantscha» (Band 5, S. 372-394) eine von ihm selber angelegte Sammlung rĂ€toromanischer Wörter und Ortsnamen im St.Galler Rheintal, namentlich in Werdenberg, die sein MĂŒnstertaler Dienstkollege Major Thomas Gross (1850-1934) dann ins Romanische ĂŒbersetzt hatte. So kam es, dass eine der ersten gedruckten Arbeiten zu unseren Flurnamen auf romanisch publiziert worden ist – eigentlich ein Kuriosum, und entsprechend geringes Echo hat sie denn auch im Werdenberg auszulösen vermocht. Immerhin eine interessante Quelle mit viel Anschauungsmaterial dafĂŒr, wie damals von interessierten Laien Namendeutung betrieben wurde. Die konkreten Aussagen zu Werdenberger Namen sind in den BĂ€nden der wissenschaftlichen Ausgabe des Werdenberger Namenbuches (im Absatz «Bisherige Deutungen/ErwĂ€hnungen», unter: «Hilty 1890») jeweils akribisch verzeichnet und gewertet.

Auch der Name Föseren ist von Major Hilty (auf S. 383) behandelt worden – oder vielmehr wohl von Freund Gross, der Hilty wohl in Sachen romanischer Namen beraten haben dĂŒrfte. Was dagegen die Kenntnis unserer Natur- und Namenlandschaft angeht, war Hilty selber sichtbar versiert. Er schreibt zu Föseren (ins Deutsche rĂŒckĂŒbersetzt): «FrĂŒher ein Bach, der wegen des neuen Kanals nicht mehr existiert. Sein Name wird in Vergessenheit geraten, und er wird bald unbekannt sein.» Nun – ganz vergessen ist die Bezeichnung bis heute zwar nicht. Sie ist vom verschwundenen Bach auf das GelĂ€nde ĂŒbergegangen und hat sich dort halten können. Aber dass zunĂ€chst ein Wasserlauf so hiess, das ist eine fĂŒr uns bedeutsame Information. Sie wird bestĂ€tigt durch die von Valentin Vincenz festgehaltene Aussage eines alten Buchsers, wonach vor dem Bau des Binnenkanals in diesem Gebiet mehrere BĂ€chlein flossen.

Blick auf Buchs aus der Luft. Ganz links im Bild die Rheinaustrasse und das bewaldete Gebiet Föseren. - Bild: Hans Jakob Reich.

Nun tun sich uns gleich mehrere Fenster auf. Wenn von «mehreren BĂ€chlein» auszugehen ist, dann kann man vermuten, dass es frĂŒher in den Föseren hiess (das heutige in der Föseren scheint also neu und ist damit wohl nicht massgebend). Und weiter lĂ€sst sich dann mutmassen, dass Föser (mit dem Dativ Föseren) die Mehrzahlform eines alten Sachworts Föser oder (wohl eher) Foser darstellt.

Das Wort ist uns heute nicht mehr bekannt. Es gibt aber in unseren Ă€lteren Mundarten viele sogenannte Reliktwörter – alte Überbleibsel aus dem Romanischen, die sich in der bĂ€uerlichen Welt unserer Vorfahren noch lange nach dem Sprachwechsel halten konnten. Man denke an Wörter wie Föle f. ‘RĂŒckstand beim Buttereinsieden’, GrĂŒsche f. ‘Kleie’, Miggle f. ‘Krume’, Serle f. ‘Lattenverschluss einer ZaunlĂŒcke’, usw. Manche dieser romanischen Wörter sind mittlerweile aus der Mundart verschwunden, leben aber verborgen noch in Ortsnamen weiter. Das dĂŒrfte etwa beim Grabser Alpnamen Plisen der Fall sein oder im Quartiernamen Grof in Buchs (sie sollen spĂ€ter an dieser Stelle auch noch behandelt werden). Und auch Föseren wird nun in diese Gruppe gehören.

Major Hilty ahnte so etwas; er vergleicht den Namen mit lateinisch fossula (‘kleiner Graben’), auch mit einem romanischen (von ihm angesetzten) fossera ‘viele kleine Graben’. Die Wortableitung von foss(a) ‘Graben’ mittels der Endung -er(a) (die den Ort bezeichnen kann, wo sich die betreffende Sache befindet) ist im heutigen Romanischen zwar nicht bekannt. Aber es spricht nichts dagegen, dass in Ă€lterer Zeit fosser m. ‘Wassergraben’ als Wort existierte. Dieses muss dann frĂŒh ins Alemannische ĂŒbernommen worden sein – das ist daran abzulesen, dass der Wortakzent auf die Anfangssilbe zurĂŒckgezogen worden ist (gleich wie bei Federen Sevelen aus altromanisch fadera).

Föseren ist also (wie schon Valentin Vincenz feststellte) der Ort in der Rheinau, wo einzelne oder mehrere WassergrĂ€ben vorkamen. Ein solcher Wasserlauf hiess also en Foser. Und befand man sich in einem Gebiet mit mehr als einem, so war man eben in den Föseren. Nun erklĂ€rt es sich auch, warum im Namenbuch schliesslich die «deutsche» Schreibung Föseren gewĂ€hlt wurde – im Unterschied zu dem seinerzeit noch auf der Flurnamenkarte von Buchs und Sevelen notierten Fösera. Denn das Endungs-a, das man fĂŒr romanische Namen zu verwenden pflegt, passte hier nun nicht mehr. Föseren hat zwar romanische Vorfahren, ist in dieser Form aber als eingedeutschtes Wort zu verstehen.

Jene langsam fliessenden Rinnsale und lokalen Wasseraufstösse in der Rheinebene, von denen hier die Rede war, fanden sich vor den Meliorationen zu Anfang des 20. Jahrhunderts noch viel hĂ€ufiger als heute, wo sie durch Drainagen und das Ziehen schnurgerader GrĂ€ben «korrigiert» und zusammengefasst worden sind. Aus der einst naturnahen Rheinebene ist zur Hauptsache intensiv bestelltes Ackerland geworden; kaum eine RiedflĂ€che ist mehr zu sehen, und auch der Auenwald ist stark geschrumpft. Nur die Namenlandschaft ist noch reich an Bezeichnungen, die an die frĂŒheren, unberĂŒhrten NaturverhĂ€ltnisse erinnern. In diesem Zusammenhang soll hier demnĂ€chst auch der Grabser Name InggeriĂ€ls mit seinem «deutschen Zwilling» WĂ€sserten zur Darstellung kommen.

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