Es ist August, und es ist heiss. Das Vieh in den Alpen sucht zur grössten Mittagshitze ein schattiges Plätzchen oder, wo solche rar sind, eine exponierte Stelle, wo sich Liegeplätze finden und wo ein kühles Lüftlein weht, welches die Fliegenplage erträglicher macht. Hier können die Weidetiere in Ruhe wiederkäuen. Auch wir wollen hinaufsteigen in unsere Alpenwelt. Unser heutiges Ziel ist die Saxer Underalp, das Älpchen unter der Saxer Lugge. Dort gewahren wir unterhalb der Alpgebäude einen auffälligen, nasenartig vorstehenden Weidehügel mit länglicher, flacher Kuppe, der gegen die bewaldete Talseite steil abstürzt. Dieser wird von den Einheimischen Gamidürer genannt, und diesem offenkundig nicht deutschen Namen wollen wir heute nachgehen.
Blick von oben auf die Alpgebäude der Saxer Underalp, links davon der Hügelrücken genannt Gamidürer. Hier muss in älterer Zeit auch Wildheu gewonnen worden sein (wie um 1930 der einheimische Lehrer Adolf Schäpper in seiner Ortsnamensammlung vermerkte). Im Hintergrund folgen sich der Gamser, Grabser, Studner, Buchser und Seveler Berg (Foto: Hans Jakob Reich, Salez).
Die heutige Form Gamadürer, obgleich im Stamm romanisch, scheint bereits eine deutsche Ableitungssilbe -er zu enthalten, in der Weise, dass er ursprünglich auf romanisch *Gamidür oder *Gamadür geheissen haben dürfte. Man kann sich das am besten so vorstellen, dass aus dem erwähnten Grundnamen einmal eine deutsche Verbindung des Typs *Gamadürer Bühel, *Gamadürer Ruggen (oder ähnlich) hervorgegangen wäre, deren deutsches Grundwort (Bühel, Ruggen) dann mit der Zeit weggelassen worden wäre.
Da zu unserem Namen Gamidürer (wie auch zur alten Grundform *Gamadür) keine kontroversen Diskussionen überliefert sind (die älteren Autoren gingen dem Fall offenbar eher aus dem Weg), können wir direkt zu des Rätsels Lösung übergehen. Es war Valentin Vincenz, der in seinem Buch «Die romanischen Orts- und Flurnamen von Gams bis zum Hirschensprung» (1992) hier als erster die korrekte Zuweisung vornahm. Diese wurde ihm durch zwei Dinge erleichtert:
Erstens dadurch, dass ihm als Bündner Romanen und einstigen Hüterbuben das Wort cauma f. ‘schattiger oder kühler Rastplatz, Lagerplatz (für Vieh oder Wild)’ wohlbekannt war. Dieses stammt aus lat. cauma, was noch ‘Sonnenhitze’ bedeutete (und kommt seinerseits aus dem Griechischen). Die sekundäre Bedeutung ‘Mittagsrast des Viehs auf der Weide; Ort, wo gerastet wird’ ist neben dem Bündnerromanischen auch im alpinen Italien verbreitet (etwa piemontesisch ciôma ‘riposo delle vacche’).
Zweitens kannte Vincenz als Namenforscher sehr wohl auch das «Rätische Namenbuch» von R. von Planta und A. Schorta, wo der Typ Cauma als Bündner Geländenamen dutzendfach anzutreffen ist (Cauma, Cama im Oberland, Tgoma im Domleschg und Heinzenberg), und wo auch ein (lateinischer) Ableitungstyp caum-atoriu (engad. Chamaduoir, surselv. Camaduir) als Name für solche Lagerplätze erscheint.
Auch in den verdeutschten Gebieten Graubündens sowie weiter nördlich ist dieser Name noch zu finden: Camadür in St.Peter (Schanfigg), Gamidaur, Gamidaurspitz (Wangs, Berg- und Alpname) - und nun eben noch in unserem Gamidür(er) in der Saxer Underalp. Damit sind wir ungewöhnlich früh am Ziel unserer heutigen Namenwanderung angelangt – Zeit für eine Rast also, ob mit oder ohne Wiederkäuen …
Nebenbei gesagt: Im Hochsommer 1967 hütete und molk der Autor dieser Rubrik die ihm anvertrauten Kühe auf der Grabser Hochweide Ritscha westlich über dem Nideripass (1800-2000 m ü. M.), dem Obersess zur Alten Hütte im Alptal Ischlawiz (Foto privat).
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