Eine erste Wortmeldung zu unserem Namen erfolgte aus dem Ausland: 1854 geriet er ins Visier des bayerische Juristen und frühen Namenforschers Ludwig Steub (1812-1888), eines Pioniers der tirolischen Ortsnamenkunde und besonders auch der rätischen Sprachforschung. In seinem Buch «Zur rätischen Ethnologie» erwähnt er auf S. 148 den Bergnamen «Lagauschla». Damit meint er unseren Berg, und tatsächlich hat er das nicht erfunden, denn so steht es auf der Eschmannkarte (Blatt Sargans «Topographische Karte des Canton’s St.Gallen», Blatt Sargans): als «la Gauschla». Die betreffende Eschmannkarte (Blatt Sargans) lässt sich aufrufen unter: https://www.e-rara.ch/zuz/content/zoom/10793685.

Blick von Elabria, kurz unter dem Chamm, auf die Gauschla (links der Mitte); rechts darunter der Girenspitz. Bild: Werdenberger Namenbuch.
Dieses Kartenwerk war 1840-1846 aufgenommen und kurz nach 1850 publiziert worden; Steub hat sich also zweifellos dieser damals neuen Informationsquelle bedient. Wer ursprünglich für den hier kuriosen romanischen Artikel «La» beim Namen verantwortlich ist, lässt sich nicht mehr eruieren. Allerdings dürfte die Beifügung wohl in einer Studierstube ersonnen worden sein, scheint es doch ganz unwahrscheinlich, dass unter den längst verdeutschten Wartauern des 19. Jahrhunderts noch ein romanischer Artikel bekannt gewesen wäre.
Steub indessen nahm ihn nun für bare Münze, verstand ihn aber wieder anders und schlug für sein «Lagauschla» – offensichtlich aus weiter Ferne – ein hier gänzlich abwegiges ital. laguccio ‘Seelein’ (zu ital. lago ‘See’) vor.
Wenn wir die Forschungsgeschichte zu diesem Namen weiter durchstreifen, so sind wir das «La» aber noch nicht los: Auch unser Werdenberger Namenfreund David Heinrich Hilty führt 1890 den Namen wieder als «La Gauschla» auf (ebenso 1903 Theodor Schlatter); er platziert zudem den Berg «im Norden des Alvier». Eine Erklärung des Namens versucht er allerdings nicht.
Dafür leitet dann der Pfarrer Julius Studer in seinem 1896 erschienenen Buch «Schweizer Ortsnamen» (S. 124, unter dem Stichwort Guscha) die Form Gauschla ab «von rom. guscha ‘Stock’»; darauf werden wir wieder zurückkommen.
Dann folgt Theodor Schlatter («St.Gallische romanische Ortsnamen und Verwandtes», 1. Teil, St.Gallen 1903, S. 56), der ebenso, und durchaus richtig, das romanische «il cusch oder la cuscha» (‘Stock, Baumstrunk’) ansetzt: «die Namen bezeichnen meist einzelstehende, klotzig herausragende Felsen oder Berge».
Im Werdenberger & Obertoggenburger vom 1. 2. 1924 gab der Lehrer und Mundartschriftsteller Jakob Kuratli (1899-1981) einen erheiternden Deutungsansatz zum besten. Ausgehend von französ. gauche ‘links’ (auch ‘linkisch’) nahm er an, auf romanisch müsse dies dann *gautscha ‘die Linke’, und daraus *gautsch(u)la ‘die kleinere Linke’ sein – also hier mit Blick auf die Gauschla und auf den vom Rheintal aus gesehen rechts dahinter stehenden, noch etwas höheren Alvier: ‘der zur Linken des grösseren Berges (des Alvier) stehende (Berg)’. Gauschla, der «linke Berg» – das ist natürlich erfunden, man lese den an den Schluss dieser Ausführungen gesetzten Exkurs.
Der Gretschinser Pfarrer Johann Ulrich Heller (1863-1937), der in den 1920er Jahren eine begeisterte und sehr lesenswerte historisch-geologische Studie zur Wartauer Berglandschaft verfasst hat, nimmt die Form La Gauschla (mit romanischem Artikel) aus den oben erwähnten älteren Quellen wieder auf; er sieht in ihr die echte Bezeichnung, die er darum konsequent verwendet: «Hebt sich das Auge, so streift sein Blick über die Flidaköpfe hinauf zu La Gauschla empor» (zu Hellers Studie vgl. die schöne Darstellung von Hansjakob Gabathuler in Werdenberger Jahrbuch 2011, S. 84-91; das obige Zitat steht auf S. 85).

Der Gipfel der Gauschla, gesehen von unmittelbar jenseits des Rheins (Balzner Seite). Am Bergfuss hinten das Dorf Azmoos, oben links der Chamm (Übergang nach Palfris). Bild: Werdenberger Namenbuch.
Unser einheimischer Namenforscher Heinrich Gabathuler (1928 und 1944) war mittlerweile vom ominösen «La» abgekommen; er schrieb gemäss der heimischen Aussprache Couschla («Schreibform Gauschla»): Zunächst hebt er die zutreffende Beobachtung hervor, dass die Spitze der Gauschla von Süden her gesehen wie ein richtiger Dachfirst aussehe. Daraus zieht er dann den falschen Schluss, dass Gauschla von lat. casula ‘kleine Hütte, Häuschen’ (Verkleinerungsform zu lat. casa ‘Hütte’) abzuleiten sei. Das ist sprachlich nicht möglich; die Annahme einer solchen Lautentwicklung stünde im Widerspruch zu allen anerkannten Gesetzmässigkeiten.
Noch zögernd betritt 1968 der Churfirstenführer (herausgegeben von der Sektion Uto des Schweiz. Alpen-Clubs) die Spur wieder, die schon siebzig Jahre zuvor von Studer und dann von Schlatter gelegt worden war: «Vielleicht zu lat. codex ‘Baumstamm’, abgeleitet auf -ola. Man vergleiche den häufigen Namen Guscha, der hier zu Gauscha geworden sein könne.»
So ist es in der Tat, wobei da allerdings einige Erläuterungen vonnöten sind. Das lat. Wort codex (codice) heisst eben gar nicht in erster Linie ‘Buch’ (woraus romanisch cudisch), sondern zunächst einmal ‘Baumstamm, Wurzelstock, Strunk, Block, Klotz’. Zur Bedeutung ‘Buch’ (> ‘Gesetzessammlung’) kam das Wort bei den Römern, weil in der Antike auf hölzernen, mit Wachs überzogenen Tafeln geschrieben wurde; ein «Buch» war also eine zusammengehörende Anzahl solcher Tafeln, die, miteinander verbunden, einen Block bildeten; daraus wurden dann auch die halb-gelehrten Ausdrücke altitalienisch códico, franz. code, span. codigo, romanisch cudisch für ‘Buch, Gesetzbuch, Bibel’. Daneben aber lebte im Romanischen, aber nur in der Surselva, noch der volkssprachlich entwickelte Abkömmling cusch (< lat. codice) weiter, und zwar in der ursprünglichen Bedeutung ‘Stock, Wurzelstock’, daraus dann verallgemeinert auch ‘Bergstock’.
Als Geländenamen konnte daher das romanische Cusch oder Cuscha sowohl auf einen Rodungsplatz verweisen, wo noch die Wurzelstöcke im Boden verblieben waren, als auch auf einen «stockartigen» Berg oder Felsklotz. Beides ist bei uns vertreten: Guscha in Sevelen und in Buchs – das erstere in der Talebene nördlich beim Dorf, das zweite am Buchser Berg – sind beides alte Rodungsnamen; der Bergname Gauschla (ein nackter Felsklotz) dagegen bezieht sich klar auf seine massig-felsige Form.
Es bleiben nun noch zwei formale Eigenheiten zu klären, welche bei diesem Bergnamen auffallen: 1) das -la in der Endung, und 2) das -au- im Tonvokal.
Das erstere ist rasch abgetan: -la ist eine romanische Verkleinerungsendung (aus lat. ´-ula zusammengezogen): zu cusch(a) liess sich also eine Ableitung cuschla f. ‘Stöckli, kleiner Bergstock’ bilden. In der Funktion ist diese Endung -la also dem schweizerdeutschen -li vergleichbar.
Warum aber heisst es nun nicht *Cuschla, sondern Couschla? Das ist die letzte der hier noch zu beantwortenden Fragen, und sie nimmt einen grösseren Umfang an, als man vorweg denken mag. Wir müssen zu ihrer Klärung hier nochmals die Lautverhältnisse ganz Romanisch Bündens in den Blick nehmen. Wer die romanischen Idiome Graubündens kennt, weiss, dass in der Mitte des Kantons, vor allem im Oberhalbstein, genauer im Sotsés, dem Gebiet um Tiefenkastel (Lantsch, Brinzouls, Surava, Vaz, Alvaneu, Mon, Stierva, Filisur) dieses -u- diphthongiert zu -ou-, teils auch zu -au-, -eu- (in Sursés, Bergün und im Oberengadin «verhärtet» sich dieser Diphthong gar zu -ok-, -uk-).
Die Zone, in der diese «Brechung» des Tonvokals -u- zu -ou- (und entsprechend auch von -i- zu -éj-) stattfand, muss früher aber noch viel grösser gewesen sein. Sie lässt sich in Flurnamen bis weit nach Unterrätien hinaus weiterverfolgen, erreichte also im Frühmittelalter auch noch Gebiete, die nun längst verdeutscht sind, wie das Schanfigg, das Prättigau, Sarganserland und das obere Rheintal (Wartau und Sevelen), rechts des Rheins sogar Teile Südvorarlbergs, freilich gebietsweise wieder mit erhaltenem -u- abwechselnd.

Rechts hinten die Gauschla, links der Gonzen und ganz rechts der Fläscher Berg, von Fläsch GR her gesehen. Sie alle fallen nach Westen hin steil ab, während sie gegen Osten zu flacher verlaufen. Bild: Werdenberger Namenbuch.
So haben wir, von romanisch crusch (crousch) ‘Kreuz’ ausgehend, etwa die Flurnamen Crausch in Schiers, Garausch in St.Peter (Schanfigg) und in Trimmis, aber in Tschiertschen wieder Grusch. Dann die (auf lat. cauda ‘Schwanz’ beruhenden) Abkömmlinge von rom. cua (coua) ‘langgezogene Wiesenfläche’, mehrfach als Gaua im Prättigau, aber auch in Wartau, als Felggaua in Sevelen, Gauis im Sarganserland, Gaua, Gaues in Südvorarlberg. Auch Amasora in Sevelen zeigt noch die Spur dieser Brechung (aus romanisch munt soura 'oberes Berggut' > -sora). Weiter nördlich im Werdenberg scheint diese altromanische Lautentwicklung nicht talabwärts vorgedrungen zu sein. In Sevelen und Wartau aber hat sie noch gewirkt, wie sich eben auch an unserem Namen Gauschla erkennen lässt.
So können einstmals grossflächig wirksame historische Sprachentwicklungen sich noch nach über tausend Jahren in versteckten, unscheinbaren Spuren auch an unerwarteten Orten nachweisen bzw. weiterverfolgen lassen. Neben der eigentlichen Wortbedeutung, die uns in einem Namen primär interessiert (hier: dass Gauschla ‘Felsstöckli’ heisst), ist aus der Sicht der Sprachforschung auch dieser «Beifang» von allerhand sprachgeschichtlich verwertbaren Beobachtungen von besonderem Wert. Die Namenforschung erbringt eben stets auch Detailerkenntnisse zur Sprachentwicklung.
Und ein ganz besonderes Kuriosum zum Schluss. Es betrifft zwar nicht die Region Werdenberg, sondern das mittlere Schanfigg (mit den Dörfern Castiel, Lüen, Calfreisen). Dort war ja bis ins 16. Jh. herein auch das Schanfigger Romanische noch lebendig, und die Verdeutschung schritt von Langwies aus über Jahrhunderte stufenweise talauswärts vor, den Walser Dialekt stets weiter voranschiebend. Dabei kam es im Tal von Dorf zu Dorf und dann namentlich im besagten, am längsten romanisch gebliebenen Raum aber zu einer immer stärkeren Färbung des Deutschen durch die absterbende alte Talsprache. Dies zeigte sich unter anderem etwa darin, dass die oben beschriebene romanische Vokalbrechung von -u- zu -ou- (und von -i- zu -ej- und von -ü- zu ‑öü-) sich um Castiel schliesslich auch auf die walserische Mundart übertrug, sodass man dort nun sagt: «ä grousigs Ejsch» (statt «ä gruusigs Iisch»: ‘ein «gruusiges» [furchtbares] Eis [auf den Wegen]’), oder: «Bewaar isch dr tousig Gott!» (‘Gott behüte uns davor!’). Dr. Andrea Schorta, der unvergessene Sprach- und Namenforscher (1905-1990) und mein Chef und Lehrmeister von 1971 bis 1975, der auch oft im Schanfigg unterwegs war, erzählte mir, er habe einmal mit einem Schanfigger namens Georg («Jöri») und dessen Frau im VW mitfahren können. Dabei fuhr der Jöri offenbar recht unbekümmert und jedenfalls zu rasch in die zahlreichen Ränke und Kurven der Talstrasse hinein, was die verängstigte Frau zum Ausruf veranlasste: «Dr tousig Gottswille, Jööri, goug!» [= ‘hupe doch!’].
Exkurs wegen Kuratlis Erfindung *gautschla:
Die Begriffe ‘rechts’ und ‘links’ in den romanischen Sprachen.
franz. droite – gauche
ital. destra – sinistra
rätorom. dretga - seniastra
sard. dereta – manca
katal. dreta - esquerra
span. derecha – izquierda
portug. direita – esquerda
rumän. dreapta – stânga
Es fällt nun auf, wie sehr in den Sprachen die rechte Seite als die «gute», die «richtige», die «gewandte» aufgefasst wird, während den Ausdrücken für die Linke ein ganz und gar negativer Beigeschmack anhaftet.
Zunächst zur Rechten: hier geht ital. destra auf lat. dexter ‘geschickt, gewandt, schlau’ zurück, während die übrigen romanischen Sprachen von lat. directus ‘gerade, gerade gerichtet, direkt’ ausgehen.
Der Ausdruck der Linken ist vielfältiger und eben von stark negativer Einschätzung geprägt (und das französ. gauche nehmen wir an den Schluss):
Von lat. sinister ‘links, linkisch, verkehrt, ungeschickt, unglücklich, widerwärtig’ gehen aus: ital. sinistra, altfranz. senestre, rätorom. seniastra (engad. sanestra, schneistra).
Aus lat. mancus ‘verstümmelt, gebrechlich, unvollständig’ ergab sich sard. manca.
Das bask. esker ‘links’ drang in die drei iberoromanischen Sprachen ein: span. izquierda, portug. esquerda, katal. esquerra.
Unsicher ist die Herkunft von rumän. stânga, offenbar derselbe Typ wie ital. stanco ‘müde, erschöpft’, auch ‘links’.
Und nun franz. gauche: Hier muss vorausgeschickt werden, dass die im Frühmittelalter lateinisch (frühromanisch) sprechende, vormals keltische Bevölkerung im Norden Galliens mit den germanischen Stämmen in ihrer Nachbarschaft in intensivem Kontakt stand. Namentlich ab dem späten 5. Jh., als der westgermanische Volksstamm der Franken die gallo-romanische Bevölkerung Nordfrankreichs unterworfen hatte (Merowinger- und Karolingerzeit), drangen viele germanische Einflüsse in Nordfrankreich ein. Dies führte zu einer entscheidenden germanischen Beeinflussung des lat.-französischen Wortschatzes, während zugleich die Herrenschicht der Franken dort mit der Zeit ihre eigene Sprache aufgab und sich dem Vulgärlatein der gallo-romanischen Bevölkerung anpasste.
Das Wort gauche gehört zu den Lehnwörtern, die aus dem Germanisch-Fränkischen in das werdende Französische Eingang fanden. Es ist verwandt mit deutsch wanken, fränkisch *wenkjan (> altfranzös. guenchir ‘schwankend gehen’), ist zusätzlich vermischt («gekreuzt») mit altfranzös. gauch(i)er ‘niedertreten’, ‘ungeschickt (linkisch) gehen’, das seinerseits aus fränkisch walkan (dt. walken, vgl. engl. to walk) stammt. «Ungeschickt gehen» - «ungeschickt», «verkehrt» - also schwingt auch bei diesem Ausdruck das weiter oben schon als typisch erkannte negative Bedeutungselement des Linkischen und Linken mit.
Das also ist die Herkunft von franz. gauche, und wie man sieht, reicht dieser Wortstamm bei weitem nicht bis ins Bündnerromanische und bis nach Wartau herein. Kuratlis *gautschla ist also glatt erfunden, eine naive Ableitung aus dem Schulfranzösischen; franz. gauche hat demnach rein nichts mit unserem Bergnamen zu tun. Damit hätten wir uns eigentlich diesen ganzen Exkurs auch ersparen können. Aber es schien mir auch reizvoll, die ganze Sache einmal darzulegen, statt sie einfach nur zu verwerfen.