«Namen sind ungeschriebene Geschichte»

Glanna

(Buchs)

Das Weidegebiet Glanna liegt, wie jeder Buchser und Seveler weiss, zuoberst in den Alpen Imalbun und Altsess, südlich vom Margelchopf, nordöstlich unter dem Glannachopf, auf terrassiertem Hochplateau unweit vom Isisizgrat, in der obersten südwestlichen Ecke des hier oben nur schmalen Buchser Gemeindegebietes und dann südwärts auf Seveler Gemeindegebiet sich fortsetzend. Dort, über dem Seveler Glanna, steigt das steile und steinige Glannabord zum Glannachopf an. Aber auch jenseits des Grates, in der Alp Isisiz auf Grabser Boden, kommen wieder Glanna-Namen vor, nämlich die nach Westen abfallende steinige Glannarisi (eine breite Geröllhalde zwischen Glannachopf und Chlin Fulfirst), sowie, weiter nördlich, die Glannahalde (ein Weidhang, der von der Isisizegg gegen den oberen Lauf des Isisizbachs abfällt). Weiter stösst man auf Seveler Gebiet, oben in der Alp Farnboden, östlich unter der Glanna, noch auf eine Verkleinerungsform Glännli (dazu die Felsspitzen Glännlichopf und Glännlispitz). Und schliesslich gibt es auf Seveler Boden auch noch das Glannahüttli, die Glannaseeli und die Glannatreien. Alles in allem ein ganzes «Nest» von Glanna-Namen auf engem Raum. Die Frage stellt sich nun, was die Grundbezeichnung bedeutet und dann auch, wohin sie ursprünglich zielte.

Nun hatte sich schon länger die Vermutung herumgesprochen, dass unser Glanna mit dem Bündner Bergnamen Calánda zusammenhängen könnte. Daran ist in der Tat nicht zu zweifeln: es ist derselbe Name. Aber wie lassen sich die Unterschiede zwischen den beiden Formen erklären? Gehen wir zuerst diesen Fragen nach!

Im Weidegebiet Glanna (hier auf Seveler Gemeindegebiet). Links der Fulfirst, dann der Chlin Fulfirst, rechts der Glannachopf. Jenseits des Horizonts die Grabser Alp Isisiz (Alt Alp) mit Glannarisi und Glannahalde. Bild: Hans Jakob Reich, Salez.

Sicher ist Calánda (gegenüber Glanna) die «besser erhaltene», das heisst, ursprünglichere Lautung. Von ihr weicht unser Glanna ab hauptsächlich durch zwei Lautveränderungen, die beide für die hiesige, werdenbergische Mundart typisch sind. Die eine betrifft den Vokal der Vortonsilbe (Calánda). Dieser ist in Glanna ausgefallen (man spricht dabei von Synkopierung): aus Calánda wurde zunächst *Clanda. Dieser Zusammenzug ist besonders bei der Übernahme vordeutscher Namen zu beobachten. Als weitere Beispiele kann der Frauenname Maria angeführt werden, dessen ältere Aussprache Maréja bei uns ebenfalls zu Mreja synkopiert wurde. Oder der Grabser Familienname Gasenzer, der ja älter auf dem -e- (als Gasénzer) betont wurde, worauf auch hier (am Grabser Berg) der Zusammenzug zu Gsénser erfolgte (heute ist diese Form freilich am Verschwinden).

Demselben Kürzungsvorgang unterlag übrigens auch der Burgname Clanx (heute Ruine) nördlich bei Appenzell, der nach Stefan Sonderegger (Die Orts- und Flurnamen des Landes Appenzell, Frauenfeld 1958, S. 471) eine «reine Übertragung des Namens Calanca» darstellt, «da die Herren von Sax, welche die Burg bauten […] und sich dann auch von Clanx, von Clanxis nannten […], im Misox-Calanca reich begütert waren (Burg Calanca bei Santa Maria)». (Die vom St.Galler Abt Ulrich von Sax errichtete, 1219 erstmals erwähnte Burg bildete das Zentrum des st.gallischen Klosterbesitzes in Appenzell; sie wurde 1289 erstmals zerstört, dann wieder aufgebaut und 1402 von den St.Gallern und Appenzellern endgültig geschleift.)

Doch zurück zu unserem Namen Glanna. Hier muss nun kurz auf die zweite Lautveränderung eingetreten werden, welche ihn nachträglich von der bündnerischen Lautung unterschieden hat: In der Werdenberger Mundart (teils auch in Liechtenstein und Südvorarlberg) wird die Konsonantengruppe ‑nd- nämlich zu  ‑nn- assimiliert; man sagt dort unne ‘unten’, hinne ‘hinten’, gfunne ‘gefunden’, Hunn ‘Hund’, minner 'minder, weniger' (in Wartau une ‘unten’, aber dann hindr ‘hinter’, mindr ‘minder’). Dieser Assimilationsvorgang wirkte sich unterschiedslos auch auf entsprechende Fremdnamen aus: Man vergleiche Spunnis (Wartau) und Spanna (Grabs), beide aus romanisch spunda ‘Abhang, Halde’; und nun eben auch Glanna, das aus dem oben angesetzten *C(a)landa hervorgegangen war.

Somit wäre also die Namensform hinlänglich erklärt. Und nun die sprachliche Herleitung? Das Romanische besitzt ein Verb calar ‘aufhören’, im Alträtoromanischen auch mit der Bedeutung ‘herablassen, abrutschen’. Ihm lag das griech.-lat. c(h)alare ‘herablassen’ zugrunde, zu welchem auch eine sog. Gerundivform calandu, -nda ‘herabrutschend’ gehörte. Diese führte dann konkret zu einem Substantiv calanda f. ‘Geröllhalde’ (eigentlich: ‘das Herabrutschende’, hier eben: ‘abrutschende Steinhalde’).

Bei der Glanna, im Gebiet zwischen Margelchopf und Fulfirst, wo die drei Gemeinden Grabs, Buchs und Sevelen zusammenstossen. Illustration: Werdenberger Namenbuch.

Wir haben eingangs eine ganze Reihe von Glanna-Namen im Gebiet südlich des Margelchopfs aufgezählt. Nun stellt sich die Frage, wohin genau sich diese Bezeichnung («Geröllhalde») ursprünglich bezogen habe. Denn heute bezeichnet der Grundname Glanna ja nur die Weidgebiete auf der Ostseite des Grates, auf die er bedeutungsmässig nicht passt.

Über dem Buchser und Seveler Glanna steigt das steile und steinige Glannabord (Sevelen) zum Glannachopf (Sevelen) an. Dort kommt die Bezeichnung den im Namen angesprochenen Verhältnissen schon etwas näher. Interessant sind nun aber die jenseits (westlich) des Grates, in der Alp Isisiz auf Grabser Boden, anzutreffenden Glanna-Namen: nämlich die westwärts abfallende, nun wirklich sehr steinige Glannarisi (eine breite Geröllhalde zwischen Glannachopf und Chlin Fulfirst) sowie, weiter nördlich, die Glannahalde (Grabs), ein Weidhang, der von der Isisizegg gegen den oberen Lauf des Isisizbachs abfällt.

Die Ortsverhältnisse legen es nun nahe, dass wir das «eigentliche» Glanna, nämlich die namengebende «Geröllhalde», nirgendwo anders als in der Glannarisi zu suchen haben, denn auf sie passt die sprachliche Bedeutung des Namens am besten. Allerdings bleibt dann noch die Frage offen, wie der Grundname Glanna dann den Weg über den Grat auf die ostseitigen Seveler und Buchser Weidegebiete gefunden hätte …

Das Glannahüttli (auf Seveler Boden, unweit der Buchser Gemeindegrenze). Bild: Hans Jakob Reich, Salez.

Die Lösung des Rätsels liegt wohl sicher in der Annahme, dass der Grundname Glanna ursprünglich dem ganzen Bergstock galt, der eben nur an gewissen Stellen von Geröllhalden flankiert war (ganz vergleichbar dem Berg Calanda bei Chur!). So lässt sich am leichtesten verstehen, dass Namenszusammensetzungen mit Glanna auf beiden Seiten des Grates entstanden sind. Und der Grundname Glanna hat sich dann offensichtlich nach dem Aufkommen des Gipfelnamens Glannachopf mehr nach unten auf die Weidgebiete am östlichen Fuss des Gipfels eingeschränkt. 

Ein Wort noch zur Verkleinerungsform Glännli (für eine Mulde oben in der Seveler Alp Farnboden, östlich unter der Seveler Glanna gelegen): Diese lässt sich übersetzen als 'kleines Teilgebiet, das zur Alpweide Glanna gehört, aber doch von diesem abgesetzt erscheint' - man könnte sie auch mit «Klein-Glanna» übersetzen.

Solche räumlichen Abspaltungen und Umbenennungen eines kleineren Teilgebiets (ausgehend vom räumlichen Geltungsbereich des Grundnamens) kommen bei uns recht häufig vor (in Grabs etwa: Gristli, Säleli, Gögli, in Sevelen: Portnöli, Sörli und eben Glännli). Hier wird nicht die lexikalische Bedeutung des Namenwortes modifiziert, sondern die Verkleinerung bezieht sich auf die Örtlichkeit selber (man vergleiche dazu in Werdenberger Namenbuch, Bd. 8, 271 im Glossar unter Diminutiv).

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