«Namen sind ungeschriebene Geschichte»

Grista

(Sennwald)

Wer vom Dorf Sax her auf der Gemeindestrasse gegen FrĂŒmsen hinunter fĂ€hrt, gelangt zwischen Amalerva und Stig2 zu einer markanten S-Kurve, die auf der Talseite mit HĂ€usern gesĂ€umt ist. Hier heisst es «Grista». Der obere Teil der S-Kurve wird «Gristarangg» genannt, wĂ€hrend die untere Kehre «Lochrangg» heisst. An dieser Stelle ĂŒberwindet die Strasse dank der DoppelkrĂŒmmung rasch den untersten Teil eines HĂŒgelkamms, der sich von oben entlang dem Schlipfbach ostwĂ€rts herunterzieht und unterhalb Grista in das Flachland bei Erle1 und Stoggen1 auslĂ€uft. Den Namen «Grista» wollen wir hier nĂ€her betrachten.

Der Namentyp Grist(a) kommt im ganzen altrĂ€toromanischen Raum hĂ€ufig vor. In RomanischbĂŒnden lautet er Cresta (von Tavetsch bis BergĂŒn), im Oberengadin erscheint er als Crasta, im Unterengadin als Craista. In DeutschbĂŒnden begegnen wir ihm etwa in Avers-Cresta, in Creista Churwalden, Crest(l)i Schiers, Crestis FlĂ€sch, Caresta Molinis, Carestis Pagig, usw. In Liechtenstein findet man ihn als Krestis Triesen, Kresta Schaan, Krest Eschen und Gamprin. Auch in SĂŒdvorarlberg ist er hĂ€ufig: Kresta (auch Krista) Vandans, Tschagguns, Grestis Frastanz, Krist in Göfis, Satteins, Bludesch, Feldkirch. Aus Werdenberg schliesslich kennen wir Gresta (2x) und ChristenbĂŒel (!) Wartau, Grist Grabs und eben Grista Sennwald.

Das Gebiet zwischen Sax und FrĂŒmsen. Links im Bild Amalerva, dann (nach rechts) Grista, Stig2, RĂŒteli3, Schnara, Holengass. - Bild: Hans Jakob Reich.

Man ersieht in dieser AufzĂ€hlung, dass im Norden des Verbreitungsgebietes, wo der Sprachwechsel lĂ€nger zurĂŒckliegt, der Endvokal -a nach dem Sprachwechsel abgefallen ist (Grist Grabs, Krest Eschen, Krist Göfis), wĂ€hrend dieser in den jĂŒngeren Verdeutschungszonen weiter sĂŒdlich (also nĂ€her an GraubĂŒnden) erhalten ist (Kresta Vandans, Schaan, Gresta Wartau). Diese Erscheinung lĂ€sst sich auch bei vielen anderen romanischen Namen beobachten; man vergleiche etwa das Paar Quadra bzw. Quader: Auch hier steht sĂŒdliches Quodera Wartau, Quadera Balzers dem nördlichen Quader (ohne -a) in Schaan und Grabs gegenĂŒber.

Der Ursprung dieses Namentyps liegt im lateinischen Wort crista ‘Kamm’, welches in romanisch craista (engadinisch), cresta (surselvisch) weiterlebt. Die Bedeutung des romanischen Wortes reicht von ‘Kamm’ ĂŒber ‘Hahnenkamm’ bis zu ‘Kamm als GelĂ€ndeform, gestreckter HĂŒgel’, auch ‘Bergkamm, Berggrat’. NatĂŒrlich sind es diese letztgenannten, auf die Topographie bezogenen Bedeutungen, welche dem Wort hierzulande zu seiner weiten Verbreitung als GelĂ€ndename verholfen haben.

Das romanische Grundwort cresta hat neben den bisher erwĂ€hnten «einfachen» Formen in Namen auch einige Zusammensetzungen gebildet (wir beschrĂ€nken uns hier auf Werdenberg und Liechtenstein): Der oft missgedeutete Name Afagrist in Gams kann auf altromanisch aua d’cresta ‘Quelle am HĂŒgelkamm’ oder auch auf Ăšr d’cresta ‘Acker beim HĂŒgelkamm’ zurĂŒckgefĂŒhrt werden. Auf einem altromanischen crest’aulta ‘hoher GelĂ€ndekamm’ beruhen Gerstalta Wartau ebenso wie Eggastalta Triesen. In Gastanells Sevelen kann eine altromanische Ableitung crestanella ‘kleiner gestreckter HĂŒgelkamm’ (?) stecken.

Im wartauischen ChristenbĂŒel (Ă€lter offenbar GrestabĂŒel) hat sich anscheinend unvermerkt eine AnnĂ€herung an den Personennamen Christen (Christian) eingeschlichen, wahrscheinlich bloss wegen der lautlichen NĂ€he, also ohne tieferen Grund.

Die Örtlichkeit Grista zwischen Sax und FrĂŒmsen, von der wir hier ausgegangen sind, ist also plausibel zu erklĂ€ren: Es ist der abfallende HĂŒgelkamm, der schon in romanischer Zeit, also wohl vor tausend Jahren, seinen passenden Namen erhalten hat.

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