Südlich des Zentrums von Buchs, gegen Röll und Frol hinauf, liegt die Grof. Es ist ein heute völlig überbauter ausgedehnter, aber junger Siedlungsraum; bis ins 19. Jh. war hier ein bedeutendes Anbaugebiet. Von der alten räumlichen Unterteilung in Chlin Grof und †Gross Grof ist nur noch die erstere lebendig; die letztere, ausgestorbene, entspricht gebietsmässig der heutigen Grof. Das Namenwort Grof kommt auch in mehreren, heute meist ausgestorbenen Geländenamen im gleichen Raum vor: Nördlich beim Altendorf, eine Stelle namens Grofbühel, offensichtlich ehemals eine kleine Erhebung, die mittlerweile abgetragen worden ist. An ihn erinnert noch die Quartierstrasse Grofbühelstrasse. Das Gebiet bei der Sekundarschule, an der heutigen Groffeldstrasse, wurde älter allgemein Groffeld genannt. Weiter gab es, nicht näher lokalisierbar, ein †Grofergässli sowie eine †Groferhofstatt: in beiden Fällen ist wohl von einem älteren Grundnamen *Grofere(n) auszugehen.
Der Namentyp bietet für einmal wenig Stoff für etymologische Spekulationen; er ist schon im 19. Jh. im Wesentlichen richtig gedeutet worden. Er beruht auf romanisch grava f. ‘Geröll, Bachschutt, Flussgeschiebe’. Der Ursprung dieses Wortes führt aber nicht zum Lateinischen (dieses kennt das Wort nicht); es entstammt einer einheimischen vorrömischen Sprache, war hier also schon in vorchristlicher Zeit heimisch. Weiter weiss man dazu allerdings nichts Genaues; daher wenden wir uns gleich der jüngeren Geschichte des Ausdrucks zu.
Hier muss aber gleich nachgetragen werden, dass romanisch grava nicht nur in zahlreiche Geländenamen im churrätischen Raum eingegangen ist. Das Wort gelangte auch ins Alemannische, als (weibliches) Lehnwort Grave und Grof, wobei die Wortbedeutung dieselbe blieb: ‘Geröll, Geschiebe (im Fluss oder Bach)’. Dort, wo es zum Geländenamen wurde, handelt es sich regelmässig um meist flache Gebiete, welche von Bachschutt (oder Flussgeröll) überführt worden waren.
Blick auf die evangelische Kirche von Buchs. Grof heisst das überbaute Gebiet rechts der Kirchturmspitze. - Bild: Hans Jakob Reich.Â
Man sieht es solchen «eingedeutschten» Wörtern meist nicht an, ob sie schon in vorrömischer Zeit als Namen verwendet wurden oder ob die Ortsbezeichnung erst in der romanischen Epoche aufkam oder gar erst nach dem Sprachwechsel zum Deutschen. Im Fall unserer Grof ist aber als sicher anzunehmen, dass zumindest unsere romanisch sprechenden Vorfahren das Gebiet schon als Grava benannten. Der Bachschutt jedenfalls war schon immer da – es geht hier wohl mehr um die Frage, seit wann das Gebiet besiedelt war, denn mit der Besiedlung kamen auch die Gebietsnamen. Im Rheintal und den umgebenden tiefen Lagen kann das durchaus schon vor der Zeitenwende der Fall gewesen sein.
Interessant ist dabei der Buchser Name †Monzengrof: Er ist ausgestorben, erscheint einzig 1472 urkundlich als Montzengraff und bezeichnete eine beim Altendorf gelegene Stelle, die das Gebiet Grof direkt berührte. Man sieht, dass er unser Wort ebenfalls enthält, und zwar offensichtlich in der romanischen Verbindung munt sur grava ‘Hügel über dem mit Bachschutt überführten Gelände’. Es handelt sich hier sicher um den älteren Namen des eingangs erwähnten Grofbühels, eben der einstigen Erhöhung oben im Gebiet Grof, und hier ist klar, dass die Zusammensetzung aus der frühmittelalterlichen romanischen Epoche stammt. Auch hier ist nachträglich das zweite Element, grava, zu -grof eingedeutscht worden – offensichtlich in Anlehnung an den Grof-Namen des benachbarten Gebiets.
Bezeichnend für den durchwegs steinigen Untergrund des Gebiets Grof ist an dessen oberem Rand auch der Quartiername uf Steinen (auch: in [den] Steinen). Und ebenso bezeichnend für den modernen «Unverstand» in Sachen Mundart und Ortsnamen ist auch der Umstand, dass eine kurze junge Erschliessungsstrasse dort offiziell Im Steinen heisst: Das gedankenlos angefügte «im» macht deutlich, dass der sachliche Hintergrund des Namens in [den] Steinen – eben die einstige Überführungszone des Buchser Bachs (in seinem alten Lauf) – gar nicht mehr allgemein bewusst ist. Nun ja – der Bach ist seit langem gezähmt, die Verhältnisse haben sich gewandelt und alles ist seit Generationen überbaut, zugedeckt.
Doch zurück zum Anfang. Das eingangs erwähnte *Grofere(n), das sich aus den alten Namen †Grofergässli und †Groferhofstatt erschliessen lässt, macht noch etwas sichtbar rund um unsere Grof. Hinter ihm steht altromanisch *gravaira (lat. *grav-aria). Solche romanische Wortableitungen auf -aria bezeichnen häufig den Ort, an dem die erwähnte Sache sich meist in grösserer Zahl oder Menge vorfindet. So etwa bei Baumnamen: Da wird z. B. aus lat. fraxinus ‘Esche’ ein fraxinaria ‘Eschengehölz’, romanisch fraschnera (woraus die Flurnamen Aferschnära Grabs und Falschnära Sevelen). Dasselbe also bei altromanisch grava ‘Geröll’, zu dem nun auch ein *gravaira ‘mit Bachschutt überführtes Gebiet’ tritt. Dass dieses altromanische *gravaira noch vor dem 12. Jh. auch bei den hier ansässigen Alemannen gebräuchlich wurde, sieht man daran, dass der Akzent auf die erste Silbe verlegt wurde – der Name wurde zu *Gravera und schliesslich zu Grofere(n).
Zum Schluss ist noch darauf hinzuweisen, dass die Grof-Namen im ganzen alträtischen Raum sehr häufig vorkommen, auch im Raum nördlich von Graubünden: Es gab eine †Graf auch in Grabs, einen †Grofenbüel am Grabser Berg, eine †Grafenbünt in Sevelen, ein †Grofamad im Saxer Riet (Sennwald); im Sarganserland trifft man auf †Graf Ragaz, Grofis Vilters, Grofen Wangs, Gröfli Sargans, Grof in Mels, Flums, Berschis. In Liechtenstein kommen vor: Grafenberg, †Grafenbünt, †Grafenwald, alle Balzers, †Grafenacker Gamprin, †Grafert Eschen (siehe zu diesen das Liechtensteiner Namenbuch, insbesondere FLNB I/5, 218). Auch im südlichen Vorarlberg wird man schnell fündig: Grofa in Nüziders und Dalaas, in Silbertal und St.Gallenkirch, in Röns, Schnifis und Frastanz, Grava in Nenzing, Gravas in Bartholomäberg, Grafis in Schnifis und Ludesch.
Diese breite Streuung erinnert uns daran, dass es bis ins Mittelalter zwischen Hirschensprung und Graubünden, vom Arlberg bis zum Kerenzerberg einen ursprünglich geschlossenen romanischen Sprachraum gab, der all diese Gebiete mit Bünden verband. Es sind, neben Gemeinsamkeiten in Volkssprache und Volkstum, vor allem unsere Namen, die noch – bruchstückhaft, aber überdeutlich – von dieser untergegangenen Sprachwelt zeugen. Namen sind eben ungeschriebene Geschichte.
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