Südwestlich bei Trübbach, im Dreieck zwischen Rhein, Trüebbachlauf und Nordostabhang des Schollbergs, bergseits der Durchgangsstrasse, liegt das Stück flaches Wiesland namens Gufaluns. Erstmals erscheint der Name urkundlich 1543 als Guffulans und Gufulaus. In späteren Nennungen dominiert daneben die Schreibung Gufalons und ähnlich. Im Helvetischen Kataster 1801 wird das Gebiet mehrfach als «Megeri» oder «Magerheu» charakterisiert, die «an Bach und Rhein» stosse. Die Wiese dieses Namens liegt bereits etwas höher als der eigentliche Talboden. Dieser ist hier zu einem überaus schmalen Streifen zwischen Rhein und Berghang zusammengedrängt und wird heute an der engsten Stelle von Strasse, Bahnlinie, Autobahn und Saarkanal fast gänzlich eingenommen. Noch zu Anfang des 19. Jahrhunderts aber regierte dort noch unangefochten der ungebändigte Rheinstrom, der, vom Fläscherberg her direkt auf die Bergwand des Schollbergs zuströmend, an der felsigen Hohwand um fast neunzig Grad gegen Nordosten umgelenkt wurde. Nicht umsonst musste die alte Schollbergstrasse ja dieser Zone durch den beschwerlichen Aufstieg über die Hohwand ausweichen. Erst 1822 wurde die moderne Strasse eröffnet, die nun erstmals dem Bergfuss entlang führte. Infolge des Festungsbaues und wegen des massiven Materialabbaus durch den Steinbruch sind hier allerdings die alten Geländeformen streckenweise gänzlich verändert worden. Daran wird zu denken sein auch bei der Beurteilung des Namens Gufaluns, den wir hier näher betrachten wollen.
Die Schollbergstrasse bei der Hohwand, wie sie 1655 vom holländischen Landschaftsmaler Jan Hackaert zeichnerisch festgehalten wurde. Vgl. Werdenberger Jahrbuch 1997 (Umschlagsbild vorn).
Der Name Gufaluns ist auf der letzten Silbe betont; das -n- wird mundartlich nicht ausgesprochen, es gehört aber zur ursprünglichen Gestalt des vordeutschen Namens und lebt bis heute unsichtbar in der nasalen Färbung des Tonvokals -u- weiter. In der geschriebenen Form ist es ratsam, das -n- stehenzulassen, da sonst die Betonungsstruktur des Namens verwischt würde. Auf der heutigen Aussprache der Endsilbe /-uns/ beruht auch die vom 16. bis zum 18. Jh. öfter zu beobachtende urkundliche Schreibung auf <-aus>: ein naiver Verhochdeutschungsversuch, wie sie damals häufig waren.
Blick vom Schollberg hinunter auf Gufaluns (Bildmitte), dahinter der Trüebbach, der Rhein und die südlichsten Häuser von Trübbach. Bild: Hans Jakob Reich, Salez.
Woher stammt der Name? Der Werdenberger Lokalhistoriker David Heinrich Hilty vermutete 1890 einen Zusammenhang mit (italienisch) gonfiare ‘anschwellen’, dem er eine romanische Form *guflar an die Seite stellte (die allerdings richtig scuflar ‘aufblähen’ lautet). Damit versucht er seine Geländebeschreibung, wonach das Gebiet vom Trüebbach aufgeschüttet worden sei, plausibel in eine Deutung überzuführen, nämlich als romanisch gufalun ‘grosse Anschwellung’. Der Vorschlag ist nicht im Ernst in Betracht zu ziehen. Ganz nebenaus gerät 1913 auch Theodor Schlatter («St.Gallische romanische Ortsnamen und Verwandtes», 2. Teil), geht er doch von einer falsch übernommenen Form Rufalaus aus, die er (nun natürlich ebenfalls falsch) auf ein *ruferaus und schliesslich auf lat. roburetum ‘Eichenwald’ zurückführen will.
Solche aufgrund von Lesefehlern weitergetragenen falschen Namenformen trifft man übrigens nicht selten an. Oft sind die verschnörkelten Handschriften namentlich des 16. bis 19. Jahrhunderts dafür verantwortlich, dass ein ortsunkundiger Abschreiber zum Beispiel ein grosses G- fälschlich als R- oder als B- lesen konnte. Wenn er nun den richtigen Namen gar nicht kannte, konnte er auch nicht korrigierend eingreifen, sondern gab die falsche Lesung arglos weiter.
Das Wiesland Gufaluns oberhalb der Durchgangsstrasse, südlich des Baches; rechts das stattliche Gebäude der ehemaligen Mühle am Trüebbach; weiter oben liegt das Gebiet Wolfgarten. Bild: Werdenberger Namenbuch.
Dies geschah nun auch bei unserem Namen Gufaluns. Zu ihm gibt es nämlich eine unechte Nebenform «Bufalons», von der mir um 1971 die damaligen Wartauer Gewährsleute sagten, auf den Karten werde Gufaluns «teils mit B- geschrieben». Diese falsche Form ist dann auch in die namenkundliche Literatur hineingeraten und ihrerseits in verschiedener Weise «erklärt» worden: David Heinrich Hilty sah in *Bufalons eine Wortkreuzung von romanisch bofar ‘blasen’ mit sufalun ‘Windstoss’, und Heinrich Gabathuler wollte darin gar ein lat. (pascuum) bufalosum sehen, also eine ‘Ochsenweide’, wobei er, ganz unbelastet von der sprachlichen Wirklichkeit, das vermeintliche *bufalosum zu einem Adjektiv mit der Bedeutung ‘voller Ochsen’ erklärte (das dann von lat. bos, bovis ‘Ochse’ abzuleiten wäre). Dies alles war natürlich ganz verkehrt, weil es von falschen Voraussetzungen ausging und auch sonst allzu laienhaft zusammengeschustert war.
Nein, ein *Bufalons gab es gar nie – nur um Gufaluns handelt es sich. Für letzteres fand derselbe Heinrich Gabathuler dann 1944 doch den richtigen Ansatz, und dieser lautet: Im Namen steckt das Grundwort romanisch cuvel m. ‘Höhle, Unterschlupf unter überhängender Felswand’. Romanisch cuvel beruht auf lat. *cubulum ‘Lagerstätte’, welches seinerseits abgeleitet ist aus lat. cubare ‘liegen, ruhen’ (woraus auch ital. covare ‘brüten’ entstand).
Betrachten wir zunächst diesen Grundworttyp *cubulum. Er ist nicht nur ins Romanische, sondern in Ortsnamen auch ins Alemannische (und Bairische) übergegangen. Dabei vollzog sich die Übernahme zu verschiedenen Zeiten und je nach der Gegend in unterschiedlicher Weise.
Als jüngste Entlehnungsschicht lebt der bündnerromanische Typ cuvel in alemannisch Gufel und als tirolisch Gufl m. ‘Höhlung in einem Felsen’ in Ortsnamen und teils auch als Sachwort weiter. Der Namentyp Gufel stellt die sprachgeschichtlich jüngste Übernahmestufe aus dem (fast) gleichlautenden romanischen cuvel dar. In Wartau ist er vertreten mit Gufel (östlich von Murris, Einschnitt zwischen Major und Melsana) und Gufels (südlich von Fontnas, zwischen Langenriemen und Gamperdun). In Graubünden kommt derselbe Typ ebenfalls verschiedentlich vor, sowohl in Romanisch- wie auch in Deutschbünden, z. B.: Cuvel (Flims), Cuvels (Zernez), Cuflis und Gufel (Untervaz), dann in Zusammensetzungen wie Flidagufel (Felsberg) und Pflidagufel (Tamins). In Südvorarlberg finden wir Gufel als Geländenamen rund ein dutzendmal.
Wenn wir von Wartau rheintalabwärts blicken, beginnt sich dort noch ein anderer Abkömmlung von *cubulum in den Vordergrund zu schieben, nämlich der Typ Chobel, Kobel, Kubel m., ebenfalls in der Bedeutung ‘überhängender Fels’. Seine Lautgestalt (mit dem Ch-!) verrät, dass er sehr früh ins Deutsche gelangt sein muss, nämlich noch im ersten Jahrtausend, als nördlich des Hirschensprungs sich das Althochdeutsche durchsetzte, während man bei uns noch lange, bis ins Hochmittelalter, romanisch sprach. Als dann schliesslich auch unsere Gegend verdeutscht wurde, gehörte das Wort kobel n. in der Bedeutung ‘Fels, Schlucht’ bereits fest zum damaligen deutschen Wortschatz und gelangte so auch zu den erst spät verdeutschten Romanen. So finden wir es auch in Grabs im Namen in (den) Chüplen, der eine Geländestelle in der Alp Gamperfin, am Weg nach Neuenalp, bezeichnet und sich auf die dort im steilen Bergwald verlaufenden Felsbänder bezieht: Chüplen ist die Mehrzahl von Chubel (also des Typs Chobel). Nur ist eben dieser Typ (im Unterschied zu den Gufel-Namen) nicht über das Romanische, sondern erst nach dem Sprachwechsel als Lehnwort im Deutschen aus geprägt worden. Dies gilt etwa auch von allen Chobel-Namen der Gemeinde Sennwald.
Zurück zu den Cuvel-Namen: Neben der Grundform selber treten auch Fälle auf, wo Cuvel durch eine Endung erweitert («abgeleitet») und damit in der Bedeutung nuanciert wird. So etwa Flusa am Seveler Berg, das aus ursprünglichem *cuvlusa entstanden ist (wir haben diesen Namen hier schon früher behandelt). Entsprechend fallen in Liechtenstein die Ableitungen Gaflei und Guflina ins Auge. Auch der Dorfname Küblis (rätorom. Cuvlignas) ist hier zu nennen – und eben unser Wartauer Gufaluns. Dieses trat übrigens in der Gemeinde zweifach auf. Nebst der Wiese am Trüebbach gab es zusätzlich noch, heute ausgestorben, ein †Gufalons im Gretschinser Feld am Hang über der Tobelmüli.
Nachdem der Wortstamm nun besprochen ist, haben wir zu guter Letzt noch die Endung des Namens Gufaluns, das -un oder -uns, zu klären. Wir kennen dieses auch von anderen Namen her, in Verbindung mit anderen Grundwörtern, z. B. Gastilun (Walenstadt), Malun (Sevelen), Amaschnun (Grabs), Igaduna (Sennwald), aber auch, leicht verändert, Gapluem (Wartau). Diesen Namen ist gemeinsam, dass die altromanische Endung -un (lat. -one) überall eine Vergrösserung des im Grundwort ausgedrückten Inhalts ausdrückt (in den erwähnten Beispielen geht es um altromanisch castiel ‘Burg’, *mal ‘Alpweide’, muschna ‘Steinhaufe’, ganda ‘Rüfe’, camp ‘Feld’, mit -un also: ‘grosse Burg’, ‘grosse Alpweide’, ‘grosser Steinhaufe’ usw.).
Entsprechendes gilt auch für unser Gufaluns: romanisch cuvelun(s) heisst demnach ‘grosse überhängende Felswand’. Dieser sachliche Befund lässt sich nun zweifelsfrei auf die Ostwand des Schollbergs beziehen, insbesondere auf ihr ursprüngliches Aussehen noch vor dem Gesteinsabbau. Dass der Name sich mittlerweile von der eigentlichen Felswand auf die flache Wiese weiter nördlich verschoben hat, kann uns nicht irremachen. Solche Namenwanderungen lassen sich häufig feststellen; sie hängen damit zusammen, dass spätere Generationen den Namen ja nicht mehr verstanden, was seine örtliche Bindung an das ursprünglich namengebende Objekt natürlich lockerte.
Ein nicht ungefährlicher Abschnitt der alten Schollbergstrasse, gezeichnet vom Zürcher Landschaftsmaler Ludwig Hess (1760-1800). Die Stelle ist dem Steinbruch zum Opfer gefallen. Aus: Werdenberger Namenbuch 1997, S. 54.
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