«Namen sind ungeschriebene Geschichte»

Ifadura

(Gams)

So heissen zwei von Bergwald umgebene teils riedige Flächen hoch am Gamser Berg, im oberen Mittelwald, unterhalb der Alpen Loch1 und Obetweid, auf 1070-1160 m ü. M. Dort befinden wir uns in der Gefahrenzone des Lawinenzugs, der vom Gätterifirst über die Better und die Obetweid herunterkommt.  Das Gebiet wird geschieden in Under und Ober Ifadura. Älter wurde der Name geschrieben als Fadura.

 Im Jahr 1966 wurde in das Gebiet Ifadura eine Walderschliessungsstrasse gebaut. Bild aus: Werdenberger Jahrbuch 1997, S. 173.

Wir verfügen nur über wenige Fotoaufnahmen aus dem recht abgelegenen Gebiet. Im Werdenberger Jahrbuch 1997, S. 172-173, findet man eine solche (im Artikel «Waldwege im Werdenberg gestern und heute» von Kreisoberförster Jürg Trümpler): dort musste anlässlich des Baues der Walderschliessungsstrasse (1966) im fraglichen Raum der instabile Boden mit Prügellagen stabilisiert werden. Beeindruckend ist auch das Bild von der Waldverwüstung im Raum Ifadura, festgehalten im Werdenberger Jahrbuch 2003, S. 152. Demnach hatte sich am 21. Februar 1999 am Gätterifirst eine riesige Staublawine gelöst und war über die Obetweid und Ifadura in den darunter liegenden Bergwald gefahren, wobei rund 50 Hektaren Wald zerstört wurden.

Waldverwüstung im Raum Ifadura nach dem Niedergang der Staublawine vom 21. Februar 1999. Bild aus: Werdenberger Jahrbuch 2003, S. 152.

Doch hier geht es uns vornehmlich um den Namen dieses Gebietes. Theodor Schlatter versuchte sich in seinem Büchlein «St.Gallische romanische Ortsnamen und Verwandtes» von 1903 auf S. 80 an dieser Bezeichnung, für die er Vadura schrieb. Seine Vermutung: «Vielleicht mittellateinisch habitatura ‘Behausung’, von habitator ‘Bewohner’, welches dann ein heute im Romanischen nicht mehr vorhandenes avdadura ergeben hätte.» Unser Urteil: Der Ansatz ist untauglich, eine reine Schreibtischdeutung. Zunächst ist offenkundig, dass er ohne Kenntnis und Berücksichtigung der Ortsverhältnisse erdacht worden ist, indem dort oben im unruhigen Gelände im Mittelwald von vorneherein menschliche Behausungen als völlig unwahrscheinlich gelten müssen. Auch sprachlich ist die Konstruktion nicht plausibel, denn das Romanische kennt wohl avdonza f. ‘Behausung’ (< lat. habitantia, zum Verb habitare, rom. avdar ‘wohnen’), jedoch keine Ableitung *habitatura. Auch verstünde sich ein lautlicher Übergang dieser erfundenen Form in unser Fadura keineswegs von selbst. Schlatters Vorschlag ist klar abzuweisen.

Nicht besser kann Johann Stähelins Idee (in seinem Werklein «Gams in vergangenen Tagen», Gams 1960, S. 18) bewertet werden. Er schlägt vor, in Fadura ein romanisches vaul dadora ‘Oberwald’ zu sehen. Auch hier springt die Laienhaftigkeit des Vorschlags ins Auge: So passt die Endung -ura lautlich keineswegs zu dadora (was aber durchaus zu beachten wäre). Daneben ist daran zu erinnern, dass dieses in bündnerischen Ortsbezeichnungen sehr häufig vorkommende dadora auch nicht ‘oberer’ heisst, sondern (als Adverbialbestimmung des Ortes) ‘draussen, ausserhalb gelegen’. Wenn schon, wäre hier also nicht ‘Oberwald’, sondern ‘Usserwald’ zu übersetzen. Aber nein, auch damit kommen wir dem Namen Ifadura oder Fadura nicht näher.

Blick von oben auf den Gamser Mittelwald; das Gebiet Ifadura liegt unterhalb und rechts von der Bildmitte. Gleich hinter dem Wald sieht man das Dorf Gams, darüber Grabs und Buchs. Bild: Hans Jakob Reich, Salez. 

Wir schlagen zur Erklärung dieses Namens einen anderen, aussichtsreicheren Weg ein. Wie allgemein bekannt ist, kommt in oder bei Waldgebieten ein Namentyp Gafadura sehr häufig vor. Er beruht auf einem alträtorom. cavradüra f. und gehört zu den typischen Rodungsnamen (wie etwa auch die mundartlichen Bezeichnungen Schwendi, Rüti, Stoggen oder Brand). In Wartau ist urkundlich †Gafadura bezeugt, in Grabs gab es ein †Gaferdur, in Sennwald lebt Gafidur weiter, über Planken liegt die bekannte Alp Gafadura (von der Schweiz her auch Stifelalp genannt). In Safien erscheinen ferner gekürzte Faldüra und Faldürli, weiter finden wir Cavadura in Klosters, Conters und Saas, Cavidura in Luzein und Trimmis, Cavadura in Schiers, Grüsch und Valzeina, dann die Kurzform Fidura in Malans GR. Auch in den Rodungslagen im südlichen Vorarlberg ist der Namentyp überaus häufig anzutreffen.

In diesen Zusammenhang ist auch unser Ifadura in Gams zu stellen. Die ursprüngliche Form *Gafadura ist hier – nach dem Sprachwechsel zum Alemannischen – offensichtlich neu interpretiert worden. Offenbar sahen die Gamser in der ersten Silbe Ga- die deutsche Präposition ge(n) ‘nach, gegen … hin’, womit der «eigentliche» Name zu Fadura schrumpfte: Man ging also «ga Fadura», man war «i Fadura».

Und auf dieser Stufe griff nun noch ein anderer Mechanismus ein. Wir wissen ja, dass hierzulande in früheren Jahrhunderten die starke Neigung herrschte, romanischen Namen vorne ein deutsches an oder in anzuhängen. Dies widerfuhr nun auch dem Rumpfnamen Fadura – er wurde zu Ifadura erweitert nach demselben Muster wie etwa bei Ifermunt, Igadeel, Igalätscha, Imatschils oder Iraggäll, die alle auf ältere Formen ohne dieses I- zurückgehen. Von diesem sprachgeschichtlich interessanten Phänomen war in dieser Rubrik schon oft die Rede; wir haben es auf dieser Webseite denn auch breit behandelt unter https://www.werdenberger-namenbuch.ch/werdenberg/sprache/vom-romanischen-zum-deutschen/deutsche-ortspraeposition-verbunden-mit-romanischen-namen/.

Ausschnitt aus unserer Flurnamenkarte der Gemeinde Gams. Ifadura findet sich hier in Bildmitte.

Zum Schluss sei noch die Herkunft des altromanischen Worttyps cavradüra f. – offenbar eine Art Fachausdruck für einen bestimmten Rodungstyp – kurz beleuchtet. Im Mittelalter herrschte in unseren Hanglagen und Berggebieten noch ein überwältigender Waldreichtum. Umgekehrt aber machte sich für die Bedürfnisse einer wachsenden Bevölkerung ein zunehmender Mangel an Weideflächen und Heuwiesen bemerkbar. Daher entwickelten die Bauern und Älpler verschiedene Methoden, um günstig gelegene, für die Rodung geeignete Waldzonen nach und nach in Grasland zu verwandeln. Dies war zeitraubende und strenge Handarbeit, die erst über viele Generationen hinweg zu den heute erreichten, dauernd bewirtschafteten Rodungsflächen führte.  Man ging den Waldbäumen ans Leben, indem man bei jedem einzelnen unten herum die Rinde abschälte und sie so verdorren liess, um sie dann später abzubrennen. Vom Roden allgemein kündet auch der weitverbreitete Typ Rüti, von einstiger Brandrodung der Name Brand. Die Geländenamen Schwendi, Schwand (auch Schwamm, Gschwemmt) erinnern an das «Schwenden» (‘zum Schwinden bringen, vernichten’) des Waldes. Wo die Baumstöcke im Boden gelassen wurden, bis sie vermoderten, lebt dieses Verfahren oft im Namentyp Stoggen, Stögg weiter.

Das oben erwähnte altromanische cavradüra schliesslich enthält ursprünglich das lat. Wort capra f. ‘Ziege’ (surselv. caura, engad. chavra), und das daraus gebildete romanische Verb c(h)avrir ‘Bäume durch Abschälen zum Verdorren bringen’ erinnert an die Unart der sympathischen Weidetiere, junge Bäumchen durch Abnagen der Rinde zu schädigen. Eine cavradüra war also eine Rodungsfläche, die mittels dieses Verfahrens gewonnen wurde.

Der Name Ifadura, der über Umwege aus diesem cavradüra hervorgegangen ist, bezieht sich ursprünglich also weniger auf die dortigen Riedflächen als auf die Waldstücke der Umgebung, wo dieses Rodungsverfahren noch zu romanischer Zeit offenbar da und dort zur Anwendung kam.

Zum Archiv