«Namen sind ungeschriebene Geschichte»

Ifelgurg

(Buchs)

Es gibt Örtlichkeiten, die man nicht nur beim Namen kennt, sondern die man auch in der Landschaft leicht, oft auf einen Blick, umfassen kann. Sie lassen sich von ihrer Umgebung leicht abgrenzen, Ort und Name bilden eine sichtbare Eigenexistenz. Andere wieder fĂŒhren ein eher verstecktes Dasein, sind unscharf umgrenzt, gehen sozusagen in ihrer Umgebung auf. Dies letztere trifft ausgesprochen zu auf unseren heutigen Fall: wir nĂ€hern uns Ifelgurg in RĂ€fis, heute wohl besser bekannt unter der amtlich festgelegten Form Valgurg. Das Gebiet dieses Namens im nördlichen Teil von RĂ€fis, in der Talebene an der Churerstrasse, ist nur unklar abzugrenzen. FrĂŒher einmal Wies-, Acker- oder auch Riedland, ist es heute, jedenfalls im östlichen Teil, ganz ĂŒberbaut, die ursprĂŒnglichen OrtsverhĂ€ltnisse sind kaum mehr zu erkennen. Bergseitig grenzt es an die Saar, wo die Bebauung aufhört und flaches Wiesland sich gegen Sax, RunggelĂ€tsch und die nahe RĂ€fiser Halde ausdehnt.

Erstmals erscheint der uns heute interessierende Name urk. 1472 als valgurg. Es heisst dort (nĂ€mlich in einer Urkunde vom 12. Juni 1472, handelnd von GĂŒtern des Grafen Wilhelm von Montfort): «Item zway mitmal [= FlĂ€chenmass] aber jn valgurg stossent ufwert an die sar, abwert an des kriechenguot»). Dann folgt 1484 (im Buchser Urbar, auf S. 14) die Form fĂŒrgurg («so dann aber an der Sorfurt hand si angefangen vnd daselbs ain eeweg geleit by der Sor hinuff vntz [= ‘bis’] vndan an fĂŒrgurg vntz gen Sant Katharinen» [= einstige Kapelle in RĂ€fis]). Weiter geht es (aus dem Urbar der PfarrpfrĂŒnde Buchs von 1540) mit filgurg («zuo Reffis in filgurg gelegenn»), dann folgen (im Werdenberger Urbar von 1543) Virgurg und vallgurg. Weiter erscheinen bis 1650 meist /Valgurg, Vilgurg/, 1691 Jffel gurg. Von da an tritt in Originalquellen bis zum Helvetischen Kataster von 1801 fast nur der Typ /Jfelgurg/ auf.

Und heute? Als amtliche Schreibform ist neuerdings wieder das alte Valgurg hervorgeholt worden, nachdem zuvor wĂ€hrend vielen Jahrhunderten die Sprechform Ifelgurg unbestritten gegolten hatte. Warum diese Renaissance? Sie erfolgte aufgrund einer im Volksbewusstsein des 19./20. Jahrhunderts aufkommenden, weil durch die Schule geförderten Vorstellung, dass der Namenanlaut Ifel- automatisch mit romanisch val- fĂŒr ‘Tal’ identisch und also wiederherzustellen sei. Daher neu die Forderung, es sei in solchen FĂ€llen Val- zu schreiben. Diese These trifft nun allerdings keineswegs immer zu. Aber sie wirkte sich aus – so hat auch hier, im Fall von Ifelgurg/Valgurg, das Gewicht der amtlichen Schreibform dazu gefĂŒhrt, dass die traditionelle Form Ifelgurg im öffentlichen Bewusstsein stark zurĂŒckging und dass von Vielen nur die Form Valgurg als «richtig» anerkannt wird.

Eine kurze Seitenstrasse, von der Churerstrasse hinter dem Restaurant Glanna westwÀrts im Gebiet Ifelgurg abzweigend, trÀgt den amtlichen Namen Valgurg. Bild: Werdenberger Namenbuch.

Was aber steckt hier wirklich in Ifel-, bzw. im Ă€lteren urkundlichen Val-? Gehen wir der Sache nach! Wir wissen bereits von anderen in dieser Rubrik behandelten FĂ€llen, dass die Sprechform auf Ifel- die deutsche OrtsprĂ€position in enthĂ€lt, die sich vorne an den Namen heftete (siehe etwa Nr. 16 InggeriĂ€ls, Nr. 22 Impelwiza, Nr. 34 (H)inrigmĂ€l, diese alle aus Grabs, Nr. 53 Iskafols Gams, Nr. 66 Igatschier Sennwald). Das I- ist damit also erklĂ€rt – wir kommen zu Val-: Nimmt also der Name Bezug auf die Lage «im Tal»? Hat denn die Örtlichkeit selber ĂŒberhaupt etwas «Talartiges»? Man sieht nichts dergleichen – ausser natĂŒrlich, dass sie, wie die ganze flache Umgebung, ohnehin in der Ebene liegt ...

Man muss also wohl noch weiter Umschau halten. Richtig: Unter den Ifel-/Val-Namen gibt  es noch mehr solcher (vermeintlicher) «Tal-Namen», welche eben nichts mit romanisch val f. ‘Tal’ zu tun haben, sondern zu lat. aqualis ‘Wasserlauf’ gehören. Dieses Wort ergab romanisch aual, auch ual m. ‘Bach’, und dieses lebt nun in vielen Ortsnamen weiter, im Deutschen meist gekĂŒrzt zu val-, fal-. Da lag es nahe, dass es auf dieser Stufe nun gerne zusammengeworfen wurde mit dem Wort val ‘Tal’. Dies fĂŒhrte nun zu einer gewissen Verwirrung und daher auch zu unnötigen Val-Schreibungen. Bereits unsere Ă€ltesten Formen aus dem 15. Jh. können durchaus mit dieser Vermischung zusammenhĂ€ngen.

Nun bleibt noch der Namensteil -gurg zu erklĂ€ren. In ihm steckt ein lateinisches gurges (bzw. dann gurga) f. ‘Wasserstrudel’. Das Wort fehlt im modernen RĂ€toromanischen, muss aber frĂŒher dort gebrĂ€uchlich gewesen sein, denn es ist in Ortsnamen hinreichend bezeugt. So findet man etwa in GraubĂŒnden die Örtlichkeiten Gurg in Flims und Gurgs in Bonaduz. Als Verkleinerungsform (auf -ella) tritt der Typ auf in GargĂ€llis Trimmis, GargĂ€llerchöpf, -joch St.Antönien; mit einer doppelten Ableitung auf die Endungen -ell-one warten die Namen Gugalun in Versam und Gurgelun in Wiesen auf. Ein altromanisches gurgaglia f./koll. ‘(Ort mit) Wasserstrudeln, Quellaufstössen’ liegt vor im Namen InggeriĂ€ls im Grabser Riet – und auch im Montafoner Dorfnamen Gargellen (Gemeinde St.Gallenkirch; urkundlich 1423 Gariella). Und auch das in Sevelen nur urkundlich bezeugte †Gagella darf wohl zu altromanisch gurghella f. ‘kleiner Wasserstrudel’ gestellt werden.

Ausschnitt aus der Flurnamenkarte der Gemeinde Buchs: das Gebiet Ifelgurg und das kurze StrÀsschen Valgurg rot umrahmt. Bild: Werdenberger Namenbuch.

Zu unserem RĂ€fiser Ifelgurg zurĂŒckkehrend, können wir also festhalten, dass in ihm ein altromanisches aual (d’) gurga ‘Bach, Wassergraben mit Strudel oder Quellaufstoss’ weiterlebt. Als der im Namen erwĂ€hnte «Bach» bietet sich am ehesten die an Ifelgurg vorbeifliessende (allerdings auch neu gefasste) Saar an. Weiteres ist in der heutigen urbarisierten und meliorierten Landschaft zu den örtlichen VerhĂ€ltnissen von vor ĂŒber tausend Jahren (und somit zum Benennungshintergrund unseres Namens) allerdings nicht mehr zu erkennen oder zu rekonstruieren. Allgemein lĂ€sst sich nur sagen, dass Wasseraufstösse in der noch ursprĂŒnglichen Talebene nicht selten waren, wie es sich noch in weiteren Namen in unseren Gemeinden nachweisen lĂ€sst: man denke etwa in Grabs an die Namen BuzifĂ€ri (Studner Riet), InggeriĂ€ls und WĂ€sserten (beide Grabser Riet) oder an Funtenerla (Studner Riet, zu rom. funtanella f. ‘kleine Quelle’).

Mit der zunehmenden VerstĂ€dterung des Buchser Siedlungsgebietes werden solche an uralte Natur- und OrtsverhĂ€ltnisse erinnernde Namen wie Ifelgurg zu einsamen Zeugen einer lĂ€ngst vergangenen Wirklichkeit, zu denen den meisten der heutigen Menschen jeder Zugang fremd ist. Solche verschĂŒtteten ZugĂ€nge wieder ein StĂŒck weit freizulegen und bewusst zu machen, ist ein Ziel dieser Rubrik.

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