«Namen sind ungeschriebene Geschichte»

Impelwiza

(Grabs)

Wer über den Grabser Berg dem lieblichen Voralpsee entgegenfährt, durchquert das Maienbergli, das Impelwiza heisst. Wenn er nämlich die obersten Häuser von Muntlerentsch und Amadang hinter sich hat und in das steinige Waldgebiet Guferen hineinfährt, liegt auf 1040 m Höhe das Berggut Impelwiza als kleine flache, rechteckige Waldlichtung mit einem Stallgebäude in der Senke direkt an der Strasse. Das westwärts darüber ansteigende Maienberggebiet heisst im Furt. Urkundlich ist Impelwiza erstmals bezeugt im Grabser Urbar von 1463, auf Seite 13: «Item Zeblewetzen sind wir gangen jn den weg».

Auch in anderen historischen Schriften taucht diese Ortsbezeichnung mehrfach auf. In dem im Jahr 1681 begonnenen «Stürurbar gehörende den Gemeinen Stürsgnossen zu Grabs» ist auf Seite 85 die Rede von einem «meyenberg und weid bilwetzen». Und im Grabser Urbar von 1691 erklärt (auf S. 65) jener Ausschuss, der damals die Grenzen zwischen Privatgütern und Gemeindeboden neu feststellte: «Item so sind wir gangen in Blewetzen, und von dem Weg in ein Legerstein [= Markstein] underem Weg mit eim Crütz». Und weiter (S. 67): «Item darnach sind wir gangen zum Furt und angfangen an Impelwetzen bei eim Legerstein mit eim Crütz an Burghart Schlegels Weid.» Ferner begegnen wir noch den Formen 1706 Jmpelwetzen, 1736 palwezen, 1752 «Meyenbergli in Jmpel wezen».

Das Maienbergli Impelwiza an der Voralpstrasse. - Bild: Hans Stricker.

Dies ist die Ausgangslage für uns. Es lassen sich im Wesentlichen drei Namenvarianten unterscheiden: Blewetzen, Zeblewetzen und Impelwetzen. Für den Fach­mann ist es nicht schwer, darin eine Entwicklungslinie zu erkennen.

  1. Blewetzen oder Bilwetzen, bzw., moderner geschrieben, Pleweza oder Pelweza: Das ist der ältere (vordeutsche) Name (ohne deutsche Zutat).
  2. Dann die Form Zeblewetzen: Sie ist als «ze Blewetzen» aufzugliedern und um die deutsche Präposition ze ‘zu’ erweitert (sie entspräche also modernem «z’ Pleweza»).
  3. Schliesslich die heute noch gültige Form Impelwiza. Sie entstand durch feste Anbindung der deutschen Ortspräposition in vor dem ursprünglichen Namen. Dabei wird in im Kontakt mit P- zu Im-. Auffällig ist hier das Urbar 1691, das einmal «in Blewetzen», dann wieder «Impelwetzen» schreibt. Darin spiegelt sich zweierlei: Zum einen ist in der Schreibform «Blewetzen» im Bewusstsein des Schreibers noch die Erinnerung an die einstige Namensform Pleweza lebendig. Zum anderen zeigt aber die Formulierung «an Impelwetzen» auch zweifelsfrei, dass im 17. Jahrhundert die heutige Form Impelwiza (bzw. damals noch Impelweza) bereits erreicht war. Die doppelte Setzung der Präposition («… und angfangen an Impelwetzen») ist dabei als Papierforumulierung zu werten – heisst es doch im echten einheimischen Sprachgebrauch bis heute «[wir haben angefangen] Impelwiza», «mer gunn Impelwiza», d. h die Präposition in ist zwar an den Namen angewachsen, erfüllt aber dennoch weiterhin ihre Funktion im Satzbau …

Eine charakteristische Merkwürdigkeit unserer Namenlandschaft: Geschichte und Bedeutung dieser eigentümlichen und sprachgeschichtlich bedeutsamen Verschmelzung von romanischem Namen mit deutscher Ortspräposition werden auf dieser Website eingehend dargestellt unter https://www.werdenberger-namenbuch.ch/werdenberg/sprache/vom-romanischen-zum-deutschen/deutsche-ortspraeposition-verbunden-mit-romanischen-namen/.

Betrachten wir nun den alten Grundnamen Pleweza (der später zu Pelweza und dann zu Pelwiza wurde). Er bildet den Ausgangspunkt für die sprachliche Herleitung.

Schon im 19. Jahrhundert gab es einen Versuch, diesem offensichtlich romanischen Namen beizukommen. Vom Werdenberger Lokalhistoriker und Major David Heinrich Hilty (1851-1915) haben wir schon in früheren Beiträgen lesen können. Er, der selber nicht romanisch konnte, hatte in seinem Münstertaler Dienstkollegen Major Thomas Gross (1850-1934) einen Berater gefunden, mit dem er sprachliche Fragen erörtern und dem er insbesondere auch die ihn brennend interessierenden romanischen Namen unserer Gegend vorlegen konnte. In einem in Graubünden 1890 auf romanisch erschienenen Aufsatz über romanische Wörter und Namen im St.Galler Rheintal haben sie sich auch den Namen Bellvizza (wie sie es schrieben) vorgenommen. Allerdings waren sie beide (wie man ihren Überlegungen auf Schritt und Tritt anmerkt) durchaus Laien auf dem Gebiet der Sprachforschung. So vermuten sie in «Bellwizza» das italienische viuzza ‘enger, schmaler Weg’, wobei sie zwischen einer Formulierung per la viuzza ‘durch den engen Weg’ und bella viuzza ‘schöner enger Weg’ schwankten. Allerdings schienen sie selbst nicht recht überzeugt von dem kühnen Wurf, kamen sie doch zum Schluss, noch wahrscheinlicher sei hier romanisch bella vista ‘schöne Aussicht’ …

Leider befanden sie sich mit beiden Thesen auf dem Holzweg. Die italienischen Ansätze fallen ohnehin ausser Betracht – aber auch mit der «schönen Aussicht» lässt sich hier kaum punkten – nicht nur, weil die Örtlichkeit ausgerechnet in einer waldumstandenen Senke ohne Talblick liegt, sondern auch, weil bella vista und Pelwiza auch formal überhaupt nicht zusammenpassen.

Es darf also weitergesucht werden. Doch allzuweit liegt in diesem Fall die Lösung nicht. Im Unterengadin, in Tschlin, findet sich ein Geländename Vezza, der hier interessant scheint. Er gehört als Kollektivform zu romanisch avez ‘Weisstanne’ (aus einer lat. Form *abeteu, zu lat. abies ‘Tanne’, teils ‘Weiss-‘, teils ‘Rottanne’), heisst also ‘bei den Weisstannen’. Das sieht schon recht vertrauenerweckend aus – umso mehr als auch bei uns die älteren Formen alle auf -weza lauten (der Übergang zu ‑wiza ist offensichtlich jünger). Auch im Grossen Walsertal taucht ein verwandter Fall auf: Barfeza in Raggal, urkundlich 1689 als Parfetzen bezeugt. Er lässt sich leicht als romanisch prau vezza ‘Weisstannenwiese’ erklären.

Und unser Impelwiza in Grabs? In ihm ist ebenfalls mühelos die romanische Verbindung plaun vezza ‘Weisstannenboden’ zu erkennen. Nach dem Sprachwechsel zum Deutschen wurde dann die romanische Form zu Plaweza oder Pleweza zusammengezogen.

Eine letzte Frage muss noch aufgeworfen werden. Eine Deutung hat ja nicht nur den sprachwissenschaftlichen Kriterien zu genügen – sie muss auch im Gelände auf ihre sachliche Wahrscheinlichkeit hin geprüft werden. Wir haben Glück, denn ein «Boden» ist das flache Gelände durchaus. Und dass es hier Weisstannen gab (wohl noch heute gibt), das hat mir ein Einheimischer, nämlich mein Vater Walter Stricker (1914-2014), ausdrücklich bestätigt. Damit schliesst sich der Kreis.

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