«Namen sind ungeschriebene Geschichte»

Lögert

(Sennwald)

So heisst ein Dorfteil von Sennwald, der oberhalb der Staatsstrasse, auf dem SchuttfĂ€cher des Steinenbachs, gelegen ist. Es handelt sich um Wiesland und teils alte HĂ€user am StrĂ€sschen, das von Ögstisriet gegen den Strigg2 hinauffĂŒhrt. Das Gebiet wird geschieden in Underlögert und Oberlögert. Im Sprachgebrauch der Einheimischen heisst es «der Lögert», «im Lögert». Die Bedeutung des Namens liegt nicht unmittelbar auf der Hand, wiewohl er nicht eigentlich fremd tönt. Schon vor ĂŒber hundert Jahren wurde ĂŒber seine Herkunft nachgedacht. 

Der in dieser Rubrik schon öfter genannte Lokalhistoriker David Heinrich Hilty meinte im Jahr 1890, der Name sei romanisch, offensichtlich gestĂŒtzt auf seinen romanischsprachigen MĂŒnstertaler Berater Major Thomas Gross: Man könne ihn entweder als löet ‘kleiner Ort’ oder lö verd ‘grĂŒner Platz’ erklĂ€ren (nach engadinisch lö ‘Ort’). Dieser Versuch geht allerdings ganz daneben.

Auch der FrĂŒmsner Lehrer und Geschichtsforscher Adolf SchĂ€pper hat sich zum Fall geĂ€ussert, nĂ€mlich in seiner um 1930 handschriftlich angelegten Sammlung der Ortsnamen der Gemeinde Sennwald. Er erinnert daran, dass es urkundliche Belege zum Namen gebe, welche Löwgang und Lögang lauteten. Dieser Befund bestĂ€tigt sich auch aufgrund der Belegliste unseres Projekts Werdenberger Namenbuch; dort findet man nĂ€mlich als urkundliche Nennungen: 1512 Lögang, 1579 Legang, 1600 Jm Löwgang, 1619 im Lögang, 1766 erscheint bereits ein löget, 1780 wieder lögang, 1789 Löget, 1797 nochmals ein letzter Löwgang, und von da an nur noch Löget oder Lögert.

Im Lögert (Sennwald). - Bild: Hans Jakob Reich.

Also ist ursprĂŒnglich gar nicht von der Form Lögert auszugehen – vielmehr erkennen wir dort die folgende Entwicklungslinie: Zu altem Löwgang gesellt sich im 18. Jh. eine leicht verschobene (man könnte auch sagen:  reduzierte) Sprechform Löge(r)t, die sich vermutlich schon damals durchsetzte. Wann, wo und warum solche Spielformen entstehen und sich dann etablieren können, lĂ€sst sich nicht immer prĂ€zise beantworten – sie können ausgelöst werden durch formale Anlehnung an andere Namen, durch Einwirkung einer anderen Wortbedeutung oder auch bloss zur Erleichterung der Aussprache. Hier dĂŒrfte der Prozess dadurch erleichtert worden sein, dass die Hauptbetonung im Namen ja auf Lö- ruht, was die Folgesilbe jedenfalls leichter anfĂ€llig macht fĂŒr VerĂ€nderungen.

Und nun die Bedeutung des Namens? Dank der BerĂŒcksichtigung der urkundlichen Schreibungen erkannte schon Adolf SchĂ€pper den wirklichen Hintergrund: LĂ€uigang, also «ein Ort, wo die Lawine, mundartlich Löwi, geht». Mit LĂ€ui ist dabei nicht nur die Schneelawine gemeint, sondern auch der Bach, der bei Hochwasser lawinengleich Schlamm und Geröll daherbringt.

Damit behĂ€lt SchĂ€pper recht: Schweizerdeutsch LĂ€ui f. heisst ja allgemein ‘Masse von Schnee, Eis, Erde, Steinen usw., die ĂŒber einen Abhang in die Tiefe gleitet oder stĂŒrzt’, und mundartlich Gang m. bedeutet ‘Ort, wo etwas oder jemand (durch)geht’, auch ‘Durchgang an schmaler Stelle’. Diese Bedeutung passt hier sehr wohl, wie jeder ortskundige Einheimische bestĂ€tigen kann. Die Benennung bezieht sich auf den Steinenbach1, der als Zusammenfluss von MĂŒlbach4 und Rohrbach vom steilen Sennwalder Berg herunterkommt und hier, im flacheren GelĂ€nde, im Lauf der Jahrhunderte oft genug Schaden angerichtet hat.

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