«Namen sind ungeschriebene Geschichte»

Logner

(Grabs)

Der Bach dieses Namens entspringt in der Bellwiti im Buchser Hochwald, fliesst am oberen, nördlichen Buchser Berg durch das Waldgebiet Lochbrunnen, durchquert dann im Steilhang auf Grabser Boden, östlich von Herzenberg, das Herzenbergtobel und das Hagmanstobel. Zwischen Schuelguet und Ober Gatter, im Winkel zwischen Buchser Berg und Studner Berg, lĂ€sst er den Bergwald hinter sich, kommt dabei bei Belenbach dem Studner Bach bis auf gut hundertfĂŒnfzig Meter nahe, setzt dann aber den Lauf nordostwĂ€rts ĂŒber Under Gatter, Ritsch und Lims fort, wogegen der Studner Bach sich ab Belenbach nordwĂ€rts wendet. In der Talebene angekommen, vereinigt sich der Logner im Stadtner Riet mit dem FuntenerlabĂ€chli und wird zum Lognerkanal. Dieser mĂŒndet kurz darauf, in der Fegeren, in den Wettibach, der weiter nördlich in den Binnenkanal einbiegt. Der Name Logner kommt, wiederum als Bachname, auch in der Gemeinde Sevelen sowie in Satteins im Walgau vor. Ihm sind viele gelehrte ErklĂ€rungen zugedacht worden, die sich allerdings als falsch erwiesen haben. Seine wirkliche Herkunft liegt viel nĂ€her.

Schon im Grabser Urbar von 1463, in welchem WegverlĂ€ufe beschrieben, EigengĂŒter und Allmendland ausgeschieden und die Lage von Marchen festgehalten wird, erscheint der Name: «  vnd von dannen hin ab jn das vorgenant gaestilen baechli ab vnd ab vntz [= bis] jn den lugner». An der Namensform hat sich seither kaum etwas geĂ€ndert; nur tendiert heute der Tonvokal mehr gegen -o- hin. Der Name entspricht in seiner Sprechform ziemlich genau dem heimischen Mundartwort fĂŒr ‘LĂŒgner’.

Im Grabser Urbar von 1463 ist auf Seite 25 der Name "Lugner" erwÀhnt. Hier findet er sich auf der 4. Zeile. - Bild: Hans Stricker.

Da, wie erwĂ€hnt, der Name auch am Seveler Berg als Bachbezeichnung erscheint, geriet er auch ins Blickfeld des einstigen Seveler Dorfarztes und Hobbyforschers Heinrich Gabathuler. Dieser erklĂ€rte (in: Gabathuler 1928, 58), dass eine Deutung als lateinisch locus niger ‘schwarzer Ort’ nicht in Frage komme. Diese war von Wilhelm Götzinger aufgeworfen worden (Götzinger 1891, 64), und mit ihrer Ablehnung liegt Gabathuler richtig. DafĂŒr setzt er nun ein - hier ebenfalls aussichtsloses - altgermanisches Wort log ‘Platz’ an; auch an althochdeutsch luog ‘LagerstĂ€tte wilder Tiere und des Viehes’ denkt er (ohne auch den Rest zu erklĂ€ren); lateinisch lucus ‘Hain’, das er ebenfalls erwĂ€hnt, scheint er zu bezweifeln, denn es bezeichne nicht den Wald als solchen, sondern die Waldlichtung.

In der zweiten Ausgabe seines BĂŒchleins (Gabathuler 1944, 48) sieht er die Sache etwas anders. Vorweg erklĂ€rt er, dass auch zu mundartlich Lugner ‘LĂŒgner’ keine Beziehung bestehen könne. Viel nĂ€her lĂ€ge eine Ableitung von lat. lucus ‘Hain, lichter Wald’, «aber die tiefe Vilcuppschlucht weist gebieterisch auf illyrisches lugine ‘Schlucht’».

Heute kann man Gabathulers «gebieterischer» Ansicht nicht mehr folgen. Man ist vom Heranziehen der weitgehend unbekannten antiken illyrischen Sprache (eines eigenstĂ€ndigen Zweiges der indogermanischen Sprachen im westlichen Teil der Balkanhalbinsel) wieder ziemlich abgekommen. Es war ĂŒbrigens der BegrĂŒnder der «Illyrer-Theorie», der deutsche Sprachwissenschaftler Hans Krahe, selbst, der aufgrund seiner weiteren BeschĂ€ftigung mit der prĂ€historischen Namenforschung seine These eines einheitlichen Illyrischen wieder revidierte und in neue Bahnen lenkte. Doch geht man weiterhin davon aus, dass die altertĂŒmlichsten GewĂ€ssernamen Europas die Hinterlassenschaft einer Zeit sind, da die indogermanischen Sprachfamilien (die VorlĂ€ufer des Germanischen, Keltischen, Illyrischen, Italischen, Venetischen, Baltischen, Slavischen) noch enger zusammengehörten.

Unser Logner gehört nun allerdings nicht in diesen Bereich. Er bietet ein treffendes Beispiel fĂŒr die Regel, wonach dort, wo eine jĂŒngere Sprachschicht eine gute Lösung bietet, der RĂŒckgriff auf Ă€ltere Kulturstufen und Sprachschichten zu unterlassen ist.

Ich selber hatte (in Stricker 1974, 171f.) auf der Suche nach einer Deutung des Bachnamens den Blick auch auf den in Triesenberg nachgewiesenen Familiennamen Lugner gerichtet (vgl. dazu nun Liechtensteiner Namenbuch, Werkteil II Personennamen: FLNB II/4, 44). Dieser ist sicher ursprĂŒnglich ein Übername und zu mundartlich Lugner ‘LĂŒgner’ zu stellen. Ein Bachname aber lĂ€sst sich ja schwerlich auf einen Personennamen als Namengeber zurĂŒckfĂŒhren. 

Gerold Hilty stösst in einem anderen Zusammenhang auch auf unseren Fall (in: Hilty 1980, 43). Ausgehend vom alten Bachnamen †Arg, der gemĂ€ss einer Urkunde von 1050 als «fluvius Arga qui fluit inter Bvgv et Qvaravede» (also: ‘Wasserlauf Arga, der zwischen Buchs und Grabs verlĂ€uft’), vermutet er, dass diese Arga möglicherweise mit dem Logner örtlich identisch sei. In diesem Zusammenhang denkt er zunĂ€chst daran, Logner auf einen indogermanischen Stamm leg-, log- mit der Grundbedeutung ‘tröpfeln, sickern, langsam rinnen’ zurĂŒckzufĂŒhren. Doch hĂ€lt er schliesslich den Namen Logner eher fĂŒr jung, also deutsch.

So ist es in der Tat: Logner ist deutsch und nichts anderes als der ‘LĂŒgner’. Eine zunĂ€chst eher befremdliche ErklĂ€rung, die sich jedoch einleuchtend begrĂŒnden lĂ€sst. Der Worttyp kommt nĂ€mlich in Bachnamen auch anderwĂ€rts vor, so als Lugibach mehrfach im Kanton Bern. Im Berner Namenbuch lĂ€sst sich nachlesen: «LugibĂ€che sind WasserlĂ€ufe, die gleichsam lĂŒgen, indem sie eigentlich Wasser versprechen, aber sehr unregelmĂ€ssig – oder nur zu einer bestimmten Zeit – Wasser fĂŒhren, sonst aber bei einem eingetrockneten Bett ein GewĂ€sser bloss vortĂ€uschen» (BENB I/3, 180). Dazu passt der Grabser Logner ausgesprochen - wissen wir doch schon seit David Heinrich Hilty (1890), dass auch er unberechenbar war («... fĂŒhrt Wasser zur Zeit von RegengĂŒssen und wird selten gefĂ€hrlich», vgl. Hilty 1890, 379).

Trotz soviel gelehrten Deutungsversuchen hat hier nun also ein «gewöhnliches» Mundartwort den Sieg davongetragen. Das Stöbern in den alten Sprachentruhen stellt sich hier als ĂŒberflĂŒssig heraus.

Ob so ein Schluss dem einen oder anderen Leser als fast zu banal erscheint? Nun, dann lĂ€sst sich hier noch ein Argument anbringen, das die letzten Zweifel beseitigen wird. Dazu mĂŒssen wir uns nochmals am Seveler Berg umsehen: Der dortige Logner ist ein sĂŒdlicher Seitenarm des Röllbachs. An der Stelle, wo sich die beiden Bacharme vereinigen, nĂ€mlich am Fuss des hinteren Seveler Bergs im Gebiet Flat, trug vor Jahrhunderten ein Gut den Namen †Mansinia. Die Überraschung ist gross – denn in diesem romanischen Namen steckt das romanische Wort manzegna f. – und dieses heisst ‘LĂŒge’! Daraus lĂ€sst sich erkennen, dass hier schon zu romanischer Zeit ein «LĂŒgenbach» war – auf romanisch etwa aual d’manzegna. Und das Gut †Mansinia, am «LĂŒgenbach» gelegen, trug nun in seinem Namen die Erinnerung an den alten Bachnamen weiter. Damit schliesst sich der Kreis.

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