«Namen sind ungeschriebene Geschichte»

Münschenberg

(Gams)

Westlich über dem Dörfchen Gasenzen, zwischen dem Felsbach im Norden und dem Afagristbächli im Süden, liegt auf zwei Hangverflachungen (600-680 m) mit ausgedehntem schönem Wiesland der Weiler dieses Namens. Schon im Gangbrief von 1462 erscheint auf Seite 3 der Name in einer ausführlichen Wegbeschreibung: «… gat ain eweg zwüschent Hanssen Wæbers gut hin vß und dannenthin durch die Hollen Gaß vnd vber die Gens Waid hinvff vnd vnder Muntfeder hin vmb vntz [= bis] in Werlis Tobil hinvff für Müntschenberg hin vff durch die ebny hin vff vntz [= bis] vff die almaind». Aber auch weiterhin erscheint das Berggut Münschenberg in den Schriften des Archivs der Ortsgemeinde Gams öfters. Herrschte zunächst (im 15.-17. Jh.) die Schreibung mit -tsch- vor, wurde im 18. und 19. Jh. nur Münschen- geschrieben, was der Sprechform des Namens durchaus besser entspricht. Wir verwenden daher diese Schreibung, entgegen einer aktuellen Tendenz, auch dann-tsch- zu schreiben, wenn dadurch die Sprechform klar übersteigert wird (vgl. Hültsch, Müntschenberg). Im Jahr 1462 erscheint auch eine Schreibung mintschen-, deren -i- auch im ausgestorbenen Namen †Minschenberg in Sevelen wieder auftritt.

Der Name wirft keine grossen Fragen auf, was seine Herkunft angeht. Das Grundwort Berg m. ist in unserer Namenwelt in zwei Bedeutungen vertreten: einerseits als ‘Berggipfel, Gebirgserhebung’, andererseits als ‘Berggut, höher gelegene Bergwiese’. Dass bei Fällen wie Münschenberg das letztere gemeint ist, leuchtet unmittelbar ein. Dies umso mehr, als weiter zu vermuten ist, dass sich im Bestimmungsteil Münschen- ein Personenname (im Genitiv) verberge – augenscheinlich der einstige Besitzer oder Bewirtschafter) des landwirtschaftlichen Gutes: also ‘des Münschen Berggut'.

Der Weiler Münschenberg. Dahinter, jenseits des Bachtobels, liegt der Schönenberg. Bild: Hans Jakob Reich, Sennwald.

Verbindungen dieser Art (Personenname + Berg) gibt es bei uns ja massenweise (siehe im Lexikonband des Namenbuches, Band 7, 45f., unter Berg2): So etwa Agtaberg, Annilisberg, Bastenberg, Benenbergli, Brueschenberg, Dieterisberg, Färbersberg, Gebhardsberg, Hagmesberg, usw. usf. Neben solchen bis heute lebenden Bildungen finden sich dort auch viele Fälle, die mit einem † versehen, also nicht mehr gebräuchlich sind. Denn oft wird die Erinnerung an ihren anfänglichen Bewirtschafter verblasst sein, noch bevor der Name sich dauerhaft etablieren konnte, worauf viele solche Name wieder aufgegeben wurden.

Wohin gehört der Personenname Münsch? Er enthält die lat. Urform dominus m. ‘Herr’, bzw. die Ableitung dominicus adj. ‘dem Herrn zugehörig’ (im christlichen Sinn für Getaufte). Als Personenname weist Dominicus weit zurück in die frühchristliche römisch-griechische Namentradition, war seinerseits wohl bereits übersetzt aus gleichbedeutendem griech. kyriakos und blieb seit der Zeit des frühen Christentums lange gebräuchlich. Im 13. Jh. erlebte der Name einen neuen Aufschwung durch die Gründung des Dominikanerordens. In der alträtoromanischen Tradition ist der Name tief verwurzelt, was auch in den vielen Varianten zum Ausdruck kommt, in denen er überliefert ist, zunächst als Vor-, dann auch als Familienname: Domenig, Domeni, Meng, Menig, Demenga, Menisch, Mensch, Minsch, Menn, Menni, Camenisch, Domenghini, Menghini, usw. Das Rätische Namenbuch, Bd. III, Die Personennamen Graubündens (1986 von Konrad Huber im Francke Verlag, Bern, herausgegeben) bietet auch zu diesem Fall (auf S. 72-76) ein reiches Material.

Der Name Minsch (sekundär gerundet zu Münsch) war offensichtlich auch bei uns im Werdenberg altvertraut. Desgleichen in Liechtenstein, wo im Flurnamen Menschawäldli (Vaduz und Triesenberg) die Variante Mensch auftritt. Unsere unterrätische Zone schliesst sich auch in diesem Fall nahtlos an den innerbündnerischen Kulturraum an mit einer ehrwürdigen rätoromanischen Tradition, die bei uns bis ins Hochmittelalter prägend war - und heute in weiten Kreisen gänzlich vergessen ist.

Ein Haus im Weiler Münschenberg. Hinten Mutschen, Kreuzberge (Chrüzberg), Saxer Lugge und Hüser. Bild: Hans Jakob Reich, Salez.

Zum Archiv