«Namen sind ungeschriebene Geschichte»

Portnol

(Sevelen)

Dies ist der Name eines markanten HĂŒgels am sĂŒdlichen Dorfrand von Sevelen mit steilem, trockenem Wies- und Weideland, vormals auch einem Wingert. Er erhebt sich oberhalb der sĂŒdlichsten HĂ€user des Dorfes ĂŒber der Chalberweid, bis auf 658 m ĂŒ. M. Die Zone ist auf der Liste der Naturschutzgebiete in der Gemeinde als artenreiche Magerwiese von nationaler Bedeutung eingetragen. Auf der Bergseite ist die Erhebung durch einen quer zum Hang verlaufenden GelĂ€ndeeinschnitt (Holgass, ZwĂŒschet Stein) vom darĂŒber ansteigenden bewaldeten HangrĂŒcken namens Höberg1 abgetrennt. Auch wenn urkundliche Formen des Namens erst im 18. Jh. einsetzen und zunĂ€chst nicht viel Wesentliches verraten, stellt sich dennoch heraus, dass der Name von sehr hohem Alter ist und damit ein besonderes Interesse beanspruchen kann.

Die heutige Aussprache lautet s Portnoel, mit geschlossenem, betontem o, das mundartlich zu -oe- gebrochen und (wegen des vorausgehenden -n-) nasaliert wird. Erstmals erwĂ€hnt finden wir den Namen in einem Marchenurbar der Gemeinde Sevelen von 1484, das wir aber nur in einer Kopie von 1752 (im Archiv der Ortsgemeinde) kennen. Dort findet sich auf S. 14 zweimal die Belegform betnall (auch gross betnall). Wie soll nun diese Schreibung gelesen werden? Da wir das bedeutend Ă€ltere Original des Marchenurbars nicht kennen, wissen wir dies nicht genau, denn es ist nicht einmal klar, ob wir sie eher dem 15. oder dem 18. Jh. zuordnen sollen. Das -a- (in -nall) scheint auf einen offenen -ƍ-Laut hinzudeuten (gleich wie in mundartlich emƍl ‘einmal’, und wie im Namen Inggarnol fĂŒr das einheimische unwegsame Berggebiet). Möglicherweise ist der Übergang zu heutigem -oel also recht jung, vermutlich beeinflusst vom unweit gelegenen Muntjol (wo ebenfalls -oel gesprochen wird). Weiter tritt der Name dann nochmals 1801, im Helvetischen Kataster, zweimal auf (auf den Seiten 128 und 132), nĂ€mlich als Bartnol und begnal. Dort bemerken wir erstmals auch das -r- vor dem -t-. Dieses erachten wir als sekundĂ€ren Einschub (wie man es bei Fremdwörtern im Schweizerdeutschen dann und wann beobachten kann (etwa berndeutsch kartholisch, aber auch in Flurnamen wie Fertusch Wartau, Iverturst Grabs, wo es ebenfalls nicht ursprĂŒnglich ist). Mit der Schreibung begnal wird versucht, das -tn- mit seinem «stummen» -t- durch ein (ebenso stummes) -g- auszudrĂŒcken; dasselbe begegnet auch in den urkundlichen Schreibungen etwa des Seveler Namens Amatnez (wo 1801 neben Amatnez auch Amagnez erscheint).

Hier sieht man am SĂŒdrand von Sevelen, unmittelbar an der Wartauer Grenze, die junge Überbauung Muntjol (gleich wie das anschliessende Wartauer Gebiet), darĂŒber erhebt sich der trockene, magere HĂŒgel namens Portnol. Bild: Werdenberger Namenbuch. 

Man ist nun gespannt, was die Ă€ltere Literatur zu diesem Namen vorschlĂ€gt. Den Vogel schiesst gleich zu Beginn David Heinrich Hilty (1890) ab. Er spricht, noch durchaus zutreffend, von einer felsigen Erhebung, an deren Fuss sich ein Ried ausbreite. Die Sage erzĂ€hle nun, so fĂ€hrt er fort, dass hier einmal ein Rheinarm durchgeflossen und dass hier ausgeschifft worden sei – daher sei Portnol aus italienisch porto navale ‘SchifflĂ€nde’ herzuleiten. Das ist allerdings sprachlich und sachlich unhaltbar, auch wenn durchaus denkbar ist, dass in Ă€lteren Zeiten dann und wann ein Rheinarm dem Dorf nahekam.

Heinrich Gabathuler will (1928) in Portnol ein (allerdings erfundenes) lat. *pratinealis sehen, nĂ€mlich als Adjektiv zu einem Sachwort mit der Bedeutung ‘HĂŒgel’ (wie lat. collis ‘HĂŒgel’ oder rĂ€torom. motta). Auch mit diesem Konstrukt ist nichts zu gewinnen. Das scheint auch der Autor in seiner Ausgabe von 1944 dann gesehen zu haben, denn mittlerweile hatte der BĂŒndner Forscher Robert von Planta in GraubĂŒnden eine Reihe von Ă€hnlichen Namen des Typs Patnal ausgemacht, die er auf ein vorrömisch-rĂ€tisches Wort *petnĂĄl zurĂŒckfĂŒhrte, das dem keltischen *dunon ‘Burg, Befestigung’ zu entsprechen scheine, und womit Verteidigungsanlagen an exponierten Stellen bezeichnet wurden. Gabathuler schreibt: «Nach R. v. Planta sind alle Petnal leicht zu befestigende und zu verteidigende PlĂ€tze, die in kriegerischen Zeiten den Umwohnern und ihrer Habe Schutz boten. Es handelt sich um sog. Fliehburgen, Refugien.»

Das ist denn auch etwa der heutige Wissensstand zu diesem offensichtlich prĂ€historischen Namentyp; die Geschichte und Herkunft der Sprache der vorchristlichen RĂ€ter ist in vielem noch nicht erhellt. Aber es sieht jedenfalls danach aus, dass solche Patnalorte einst in deren ganzem Siedlungsraum (zu welchem auch unser Gebiet gehörte) zu finden waren. An verschiedenen Orten hat die ArchĂ€ologie Untersuchungen angestellt; daneben sind aber viele der Patnal-HĂŒgel noch nicht systematisch erforscht worden. Ob es sich um Siedlungen, Befestigungen oder KultplĂ€tze handelt, ist also teilweise noch offen.

Eine interessante Zusammenstellung der Probleme und Erkenntnisse rund um diese vorgeschichtlichen Anlagen und zur RĂ€terfrage insgesamt lĂ€sst sich nachlesen in einer ĂŒber das Internet zugĂ€nglichen Schrift des Burgenvereins Untervaz («Texte zur Dorfgeschichte von Untervaz») von 2009, wo eine einschlĂ€gige Untersuchung des BĂŒndner Historikers Dr. Martin Bundi (1932-2020) abgedruckt ist. Auf diese sei hier ausdrĂŒcklich verwiesen; siehe: https://download.burgenverein-untervaz.ch/downloads/dorfgeschichte/2009-Zur%20Sprachgeschichte%20des%20Namens%20Patnal.pdf

Wer sich fĂŒr die prĂ€historische Siedlungs-, Sprach- und Völkergeschichte des Alpenraumes interessiert, findet unter diesem Link eine Informationsquelle, die einen weit ausgreifenden und tiefschĂŒrfenden Einblick in diesen spannenden Fragenkomplex vermittelt und ĂŒbrigens auch unseren Seveler Fall durchaus kennt.

ErwĂ€hnt sei hier nur noch, dass unweit nördlich von unserem Portnol, also ebenfalls am sĂŒdlichen Dorfrand von Sevelen, sich ein heute ĂŒberbauter kleiner Felskopf erhebt, der Portnöli heisst (Ă€lter auch †Chlin Portnol, also «Klein-Portnol»), daneben aber auch Giufstein (oder Gluefstein) genannt wird.

WĂ€hrend man oben in Bildmitte den markanten HĂŒgel von Portnol erblickt, ist ganz rechts aussen und viel weniger hoch die heute ganz ĂŒberbaute kleine Terrasse des Giufsteins, auch Portnöli genannt, zu sehen. Bild: Werdenberger Namenbuch.

Anscheinend will diese Verkleinerungsform (die nicht unbedingt sehr alt sein muss) zum Ausdruck bringen, dass es sich bei der kleinen felsigen Terrasse um eine weniger ausgedehnte Erhebung - jedoch von der gleichen Art handle, wie sie im benachbarten Portnol vorliegt, eben ein «kleines Portnol». Daraus lĂ€sst sich aber nicht erkennen, ob dies als blosser GelĂ€ndevergleich gemeint war, oder ob auch zu diesem zweiten Ort eine entsprechende vorgeschichtliche Befestigung ĂŒberliefert gewesen wĂ€re. Das ist eine Frage, welcher hauptsĂ€chlich die archĂ€ologische Forschung nachzugehen hĂ€tte.

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