Unter diesem Namen kennen die Wartauer eine FlĂ€che schönen Wieslandes, das sich auf der Ebene am östlichen Dorfrand von Oberschan, nordseitig ĂŒber der Gemeindestrasse nach Gretschins und sĂŒdöstlich vom Winggel, ausbreitet. Heute ist ein Teil davon mit WohnhĂ€usern ĂŒberbaut. Als Ă€ltere Schreibform tritt auch Prafisuot in Erscheinung, und daneben geistert noch ein von falschen Vorstellungen geleitetes Pravishut herum, nebst weiteren entstellten Schreibungen. Ein kleiner Wildwuchs, dem wir in der folgenden Darstellung zu Leibe rĂŒcken wollen.
Das Dorf Oberschan aus sĂŒdöstlicher Richtung gesehen (Luftaufnahme). Prafisuet liegt rechts aussen im Bild, ĂŒber der Strasse, bei den ersten HĂ€usern. Bild: Hans Jakob Reich, Salez.
Bei der ĂberprĂŒfung der urkundlichen Nennungen dieses Namens stossen wir zunĂ€chst auf eine offene Frage: In dem von Franz Perret herausgegebenen «Urkundenbuch der sĂŒdlichen Teile des Kantons St.Gallen», Band 1, Nr. 680, S. 469, wird fĂŒr das Jahr 1277 ein «Iohannes filius Eberhardi de Pravihot» genannt (also: «ein Johannes, Sohn eines Eberhard von P.») - leider ohne weitere Angaben, die die Lokalisierung nach Oberschan absichern wĂŒrden. Dennoch dĂŒrfte es sich hier wohl um den Erstbeleg zu unserem Namen handeln. Es scheint nĂ€mlich wahrscheinlich, dass Pravihot falsch gelesenes und geschriebenes PraviÊot ist (mit lang-Ê, das dann irgendwann mit dem Ă€hnlich aussehenden h verwechselt worden ist?). Auch Perret vermutete das, er kommentierte die ihm sonst von nirgends bekannte Form mit: «ein Pravishut zu Oberschan?». Nach diesem frĂŒhen Erscheinen der Namensform im 13. Jh. dauerte es dann fast ein halbes Jahrtausend, bis die Ărtlichkeit wieder schriftlich auftaucht â es folgen erst 1751 Bravashut und Prafas huat. Und bald danach erscheinen im Werdenberger Urbar von 1754, einer von fremden Schreibern ohne die nötigen Ortskenntnisse redigierten Version, bekannt fĂŒr ihre oft grundfalschen Namensabschriften, die Schreibungen 1754 *BrofasthĆ«t und Brofasurt (?). Ihnen sieht man von weitem an, dass sie von unkundiger Hand entstellt worden sind. Etwas nĂ€her an der heutigen Sprechform, aber auch noch recht variantenreich, sind dann die EintrĂ€ge im «Helvetischen Kataster» von 1801: Pava suth, Brava sutt, Pafa Sut.
Das mehrfache Erscheinen von h-haltigen Schreibformen ĂŒber lange ZeitrĂ€ume (Pravihot, Bravashut, auch noch in Perrets Anmerkung, sowie in manchen weiteren, auch in gar nicht so alten amtlichen Notierungen) lĂ€sst vermuten, dass die falsch verstandene Namensform mit -h- auch darum so lange weitergeschleppt werden konnte, weil das vermeintliche -hut offenbar als deutsch aufgefasst wurde, nĂ€mlich als *Pravis Huet, wobei in Pravi wohl der Glarner Vorname Paravicin gesehen wurde, der im damaligen Werdenberg als Praviziin sowie in der Rufform PrĂ€vi bekannt geworden war. Und in *Huet sah man offenbar das schweizerdeutsche die Huet âObhut, HĂŒterdienstâ â der ganze Ortsname *Pravis Huet scheint also mit der Vorstellung verbunden worden zu sein, es handele sich um «die Viehweide eines Mannes namens Pravi (PrĂ€vi)». Das ist nun allerdings nicht als wahrscheinlich anzunehmen â es muss da schon noch tiefer gegraben werden. Als erstes ist zu prĂŒfen, wie sich die zĂŒnftigen Namendeuter bisher dazu geĂ€ussert haben.
Den Anfang macht einmal mehr unser David Heinrich Hilty (1890), assistiert von seinem Dienstkollegen Major Thomas Gross aus dem MĂŒnstertal. NatĂŒrlich versuchte dieser einen Zugang vom Romanischen her, was in Wartau ja nicht unwahrscheinlich ist. Er beschreibt die Ărtlichkeit «Pravisatt» (!) als «gutes Wiesland in der Ebene bei Oberschan, gegen Norden erhebt sich ein HĂŒgelchen». Warum erwĂ€hnt er das HĂŒgelchen, mit welchem er wohl den dortigen OsterbĂŒhel meint? Das geschieht nicht von ungefĂ€hr, denn daraus leitet er nun einen etwas skurrilen Deutungsansatz ab, nĂ€mlich romanisch *pra vis at, wörtlich ĂŒbersetzt: âWiese, gesehen (von) hoch (oben)â, gemeint: âWiese, von der Höhe aus gesehenâ (eben von jenem OsterbĂŒhel) â ein recht weltfremdes Konstrukt, ĂŒber das man lĂ€chelnd hinwegsehen darf.
Der nĂ€chste Autor, Wilhelm Götzinger (1891), meint seinerseits bei «Pravisutt, auch Pravishut geschrieben», letztere Form werde beim Volk wohl als «der HĂŒterplatz eines Pravis [?]» verstanden. Er selbst scheint allerdings nicht an so etwas zu glauben, dafĂŒr bringt er andere, teils nicht aussichtsreichere AnsĂ€tze vor wie ein lat. *pratum de fossota (das es so gar nie gab), oder romanisch pra de sutt âuntere Wieseâ (was nicht ganz falsch ist) oder pra de via de sutt âuntere Wiese beim Wegâ (?, was wiederum grösstenteils nicht stimmt). Auch ein ad hoc angesetztes lat. *fissutus (fĂŒr âgespaltenâ) hĂ€lt Götzinger fĂŒr denkbar, obwohl das betreffende Partizip vom Verb findere âspaltenâ nur fissus heisst â sein *pratum fissutum ist als Grundlage unseres Namens also keinesfalls in Betracht zu ziehen.
Nun aber naht schon im Jahr 1924 die richtige Lösung. Damals liessen die beiden Werdenberger Lehrer U. Adank und J. C. Berger im «Werdenberger & Obertoggenburger» eine Artikelserie erscheinen zum Thema «Flurnamen und Ărtlichkeitsbezeichnungen von Wartau». Dort brachten sie fĂŒr Prafisuet (sie schrieben Pravisut) erstmals den im Wesentlichen zutreffenden Vorschlag vor (ich vermute daher stark, dass jemand aus dem Umkreis des Dicziunari Rumantsch Grischun sie darauf gebracht hatte). Ihre Deutung lautete: romanisch prövi suot âunteres Wieslandâ. Dem schloss sich dann auch Heinrich Gabathuler in seinen zwei Publikationen von 1928 und 1944 («Orts- und Flurnamen der Gemeinden Wartau und Sevelen») an, und seither ist der Ansatz nicht mehr bezweifelt worden.
Gehen wir da noch etwas ins Detail: Romanisch prövi m. heisst âbebauter, in Privatbesitz befindlicher Flurbezirk, GĂŒterkomplexâ. Das Wort geht auf lat. proprium âdas Eigeneâ zurĂŒck. Es bildet das begriffliche GegenstĂŒck zur Allmend, zur Gemeinweide, die ja eben nicht in Privateigentum stand, sondern der Gesamtheit der Gemeinde gehörte und zu dienen hatte. Wie man weiss, waren in Ă€lterer Zeit unsere Dörfer mit ihren PrivatgrundstĂŒcken eingebettet in eine bis nahe vor die Dorfbereiche reichende Allmendlandschaft, wohin das Vieh der Dorfschaft gemeinsam auf die Weide getrieben wurde.
Man betrachte fĂŒr Wartau das KĂ€rtchen, das die Verteilung von PrivatgĂŒtern und Gemeindeland festhĂ€lt (aus der bekannten Monographie zur Gemeinde Wartau von Oskar Peter, S. 210). Dort sieht man, wie die Zone der privaten GĂŒter um die Wartauer Dörfer herum dicht eingefasst wird von zwei grossen Landkomplexen in der Talebene sowie hinter und ĂŒber den Dorfarealen, die im Besitz der Ortsgemeinde sind und oft bis nahe an die Dörfer heranreichen.
Die Verteilung von PrivatgĂŒtern, Ortsgemeindeland und Alpen in der Gemeinde Wartau. - Aus: Oskar Peter, Wartau. Eine Gemeinde im st.gallischen Rheintal, Bezirk Werdenberg. St.Gallen, 1960, S. 210.
Hier, in Prafisuet, auch nicht weit von der alten Allmendweide entfernt, finden wir dieses prövi mit den privaten PflanzplĂ€tzen der Dorfbewohner am unteren Dorfrand, also ganz in der NĂ€he der Siedlung (und damit wohl noch innerhalb des Dorfzauns, der seit alters Oberschan einfasste, siehe O. Peter, S. 172). Daher leuchtet es ein, dass dieses Pflanzland auf romanisch prövi dâsuot âunten gelegenes Pflanzlandâ genannt wurde.
Ganz Ă€hnlich, wenn auch gewissermassen umgekehrt, verhĂ€lt es sich mit dem Wies- und Rebland namens Profasun bei Fontnas, ĂŒber dem Dörfchen gelegen: in diesem Namen ist ebenfalls romanisch prövi enthalten, aber dort â der Lage ĂŒber der Siedlung entsprechend â eben âdas oben gelegene Pflanzland (entweder prövi sum âober[st]es Privatflurâ oder aber, gleichbedeutend, prövi dâsu[ra] âoberes Pflanzlandâ).
Diese beiden Namen, Prafisuet und Profasun, erinnern also an die uralten RechtsverhÀltnisse, nach welchen grosse Teile unserer Gemeinden in Gemeinbesitz der Dorfgemeinschaft standen und wo alle Gemeindeglieder Anteil am Nutzungsrecht hatten, wÀhrend der private Sektor noch weitgehend auf die SiedlungsplÀtze selber sowie die parzellierten AckerflÀchen in deren NÀhe beschrÀnkt war. Seit Beginn der Neuzeit ist das Gemeineigentum dann zunehmend eingeschrÀnkt und verkleinert worden, womit sich der private Sektor dann stark ausweitete.
Am Grabserberg erinnern die alten Begriffe «Maienzaun» und «Friedhag» (die noch in Flurnamen erhalten sind) noch schwach an jene Grenzlinie zwischen EigengĂŒtern und Gemeindeland. Diese Linie verlief als Maienzaun zwischen den privaten HeimgĂŒtern und der darĂŒber liegenden einstigen Allmend, als Friedhag zwischen den höher oben befindlichen privaten Maienbergen und den darĂŒber an diese angrenzenden Gemeindealpen. Ăhnliche solche Spuren werden sich auch in den anderen Gemeinden unserer Region finden lassen. Sie zu suchen ĂŒberlasse ich heute den geneigten Lesern dieser Rubrik. Dieselbe hatte ĂŒbrigens mit Prafisuet ihren 79. monatlichen Auftritt; sie lĂ€uft, bisher ununterbrochen, seit ĂŒber sechseinhalb Jahren.
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