«Namen sind ungeschriebene Geschichte»
Hausinschrift im Städtli Werdenberg, im Hinderstädtli. - Bild: Werdenberger Namenbuch.

Eidgenössische Untertanenschaft

Allgemeines

Wie im schweizerischen Mittelland, gelang es auch im Alpenrheintal keinem der einheimischen Adelsgeschlechter, einen Territorialstaat zu bilden. Ein letzter Ansatz dazu war die Herrschaft der Grafen von Toggenburg. Diese versuchten systematisch, ihre Landeshoheit im Gebiet der heutigen Ostschweiz auszubauen, nachdem sie schon über grosse Teile des ehemals montfortischen Herrschaftsbereichs beidseits des Rheins und in Graubünden verfügten.

Doch schon bevor der mächtigste und zugleich letzte Toggenburger Graf, Friedrich VII., 1436 starb, hatten auch die Habsburger im Gebiet Fuss gefasst. Diese erhoben Anspruch auf das Toggenburger Erbe - nebst ihnen aber auch die expandierenden eidgenössischen Orte Schwyz und Zürich. Zwischen den beiden Bundesgenossen entbrannte ein Streit, der im Alten Zürichkrieg (1440 bis 1446) gipfelte und sich zu einer Auseinandersetzung zwischen der Eidgenossenschaft und den mit Zürich verbündeten Habsburgern ausweitete.

Der Machtkampf zwischen den Eidgenossen und den Habsburgern wirkte sich nun erstmals am Alpenrhein aus: Sarganserland und Rheintal wurden zum Schauplatz eidgenössischer Aufmärsche und Beutezüge.

Verlierer in den Auseinandersetzungen waren die Adelsgeschlechter. Das Haus Habsburg verlor diesseits des Rheins die territoriale Basis zur Verwirklichung seines Ziels, eine Verbindung zwischen den in schweizerischem Gebiet gelegenen Stammlanden und dem Besitz in Österreich zu schaffen. Die acht alten Orte und ihre Verbündeten hingegen vermochten sich in der ganzen Nordostschweiz festzusetzen. Der Rhein war fortan die Grenzlinie zwischen dem eidgenössischen und dem habsburgisch-österreichischen Einflussbereich. Und die eidgenössischen Orte konnten nun ruhig zuwarten, bis sie diesseits des Rheins infolge Verarmung des lokalen Adels die einzelnen Herrschaftsgebiete ganz in ihren Besitz bringen konnten.

Die Anbindung der einstigen vier Herrschaftsgebiete der heutigen Region Werdenberg an die Eidgenossenschaft war ein Vorgang, der sich über Generationen erstreckte. Schon Jahrzehnte bevor die vier Gebiete – verteilt über einen Zeitraum von über 130 Jahren – schliesslich durch Kauf unter die Landeshoheit eidgenössischer Stände gelangten, standen die Landesherren in vielfältigen Beziehungen zur einflussreichen Eidgenossenschaft. Die Freiherrschaft Sax-Forstegg ausgenommen, gingen dem endgültigen Erwerb der Landeshoheit meist mehrere Besitzerwechsel voraus – eine Erscheinung, die die Verarmung der Feudalherren und die geringe Rendite einer «Kapitalanlage» in diesen eher dünnbesiedelten Landschaften wiederspiegelt.

Die Herrschaft Wartau

Der Ursprung der Burg Wartau liegt im Dunkel. Um 1225 wurde sie errichtet und schon im 16. Jh. wieder aufgegeben. Die heutige Gemeinde Wartau gehörte (mit Ausnahme des kleinen Gebietes der Burg Wartau mit dem Dorf Gretschins) seit dem 13. Jh. der Grafschaft Sargans an, die in den Händen der Grafen von Werdenberg-Sargans war. 1483 verkaufte der in Geldnot steckende Graf Jörg seine ganze Grafschaft an die sieben Orte Zürich, Luzern, Uri, Schwyz, Unterwalden, Zug und Glarus, die sie (ab 1712 zusammen mit Bern) als Gemeine Herrschaft verwalteten. Das Gebiet um die Burg und das Dorf Gretschins mit umfangreichen Gütern in der Gemeinde bildete bis 1798 eine kleinräumige Herrschaft (den «Etter») mit eigener Niedergerichtsbarkeit. Sie wechselte im 15. Jh. mehrmals den Besitzer oder wurde verpfändet. Seit 1488 wurde sie von der Landvogtei Sargans aus verwaltet, kam aber 1517 zusammen mit der Grafschaft Werdenberg an den Stand Glarus. Diese Herrschaft war mit dem übrigen Wartau durch Grundbesitz und Eigenleute sowie durch weitere Rechte eng verflochten, gehörte aber zugleich zur Werdenberger Gerichtsbarkeit: Als Inhaber der Pfrund (mit dem Kollaturrecht) geboten die Glarner in kirchlichen Angelegenheiten; ebenso gehörte die Rheinfähre in ihre Zuständigkeit. Die Hochgerichtsbarkeit dagegen übten zunächst die Grafen von Werdenberg-Sargans aus, 1483-1798 die eidgenössische Landvogtei Sargans. Die komplizierte Rechtsstruktur führte zu zahlreichen Kompetenzstreitigkeiten zwischen den Vögten auf den Schlössern Sargans und Werdenberg (Stichwort: Kinderteilung; vgl. auch Kuratli 1950, 33; Stricker 1981b, XXXf.).

1526-1529 wurde in dem von Schloss Werdenberg aus regierten Gebiet der neue Glaube eingeführt - so auch in Wartau. Da aber im Zweiten Kappelerkrieg 1531 die Reformierten unterlagen, geriet Wartau sogleich unter Druck seiten der rekatholisierten Sarganser und der dort amtierenden Innerschweizer Landvögte. Trotz der Anfeindungen wehrte sich die Gemeinde für den neuen Glauben, bis 1578 alle Katholiken abgewandert waren. Im sogenannten Wartauer Handel (1694-1695), einem Kollaturstreit, der bis auf die eidgenössische Ebene getragen wurde, kam es zu einem letzten Versuch, die katholische Messe in Wartau wieder einzuführen; er hätte beinahe einen eidgenössischen Krieg ausgelöst (vgl. HLFL 2, 1046 [M. Bugg]; Kuratli 1950, 110ff. und 152ff.; Hess 1990, 70ff.).

Die Grafschaft Werdenberg

1404 ging die Grafschaft Werdenberg von Graf Rudolf von Werdenberg an Graf Wilhelm V. von Montfort-Tettnang über. 1483 kam sie erbmässig an Graf Johann-Peter von Sax-Misox, der sie 1485 an den eidgenössischen Stand Luzern verkaufte, womit sie erstmals unter eidgenössische Herrschaft geriet. 1493 veräusserte Luzern, dem Werdenberg doch zu abgelegen war, die Herrschaft an die Südtiroler Freiherren von Castelwart. Diese verkauften sie wenig später, 1498, an die Freiherren von Hewen. Beide letztgenannten Besitzer waren durch ein Burgrecht mit Luzern verbündet; die eidgenössische Kontrolle über das Gebiet brach mit diesen Handänderungen also nicht gänzlich ab. Während des Schwabenkrieges (1499) hüteten eidgenössische Truppen, vorab Glarner, die Rheingrenze. Zum ersten Mal kamen daher die späteren «gnädigen Herren» mit ihren zukünftigen Untertanen in direkte Berührung, was zweifellos einen wichtigen Grund für den späteren Kauf bildete. 1517 erwarb der Stand Glarus die Herrschaft Werdenberg für 21­ 500 Gulden. Zuvor waren mehrere Versuche, die Grafschaft Werdenberg wie das benachbarte Sargans als Gemeine Herrschaft der sieben Orte zu verwalten, erfolglos geblieben. Werdenberg (mit Grabs, Buchs, Sevelen, Gretschins) blieb nun bis 1798 in Glarner Hand. Die Landvögte auf Schloss Werdenberg hatten bis zuletzt Gerichtshoheit und Kollatur inne. In der Amtszeit des Landvogts Jost Tschudi (1526-1529) setzte sich die Reformation in den Gemeinden durch.

Die Herrschaft Gams

Gams und die Burg Hohensax waren zu Beginn des 15. Jhs. durch Erbteilung von der Herrschaft Frischenberg bzw. Sax-Forstegg abgetrennt worden und wurden fortan als «Gericht und Herrschaft Hohensax» bezeichnet. Durch Heirat fielen das Dorf und die im Alten Zürichkrieg von den Appenzellern zerstörte Burg Hohensax an die Herren von Bonstetten aus Zürich. Als diese die Herrschaft 1496 an die Herren von Castelwart (die damaligen Besitzer von Werdenberg) verkauften, wandten sich die Gamser an die Tagsatzung und baten, diese möge den Kauf rückgängig machen und die Herrschaft selbst übernehmen. Die Orte Schwyz und Glarus willigten ein und erwarben anfangs 1497 die Herrschaft - mit von Zürich vorgestrecktem Geld. Als Gemeine Herrschaft wurde das kleine Amt Gams fortan von der Landvogtei Gaster aus verwaltet. Auch in Gams hatte sich 1528 die Reformation durchgesetzt; sie wurde dann aber 1531 unter Druck von Schwyz wieder rückgängig gemacht.

Die Herrschaft Sax-Forstegg

Als letztes linksrheinisches Gebiet kam die Herrschaft Sax-Forstegg erst 1615 endgültig in eidgenössische Hand. Der Grund für diese späte Übernahme lag in den seit Jahrzehnten engen Beziehungen der Freiherren von Sax mit eidgenössischen Orten: Im Alten Zürichkrieg kämpfte Freiherr Albrecht von Sax zeitweise auf der Seite von Schwyz und Glarus. Sein Sohn Ulrich (in seiner Jugend Mündel des Zürcher Bürgermeisters Hans Waldmann) stand in den Burgunderkriegen, später im Schwabenkrieg und schliesslich in den italienischen Feldzügen als Heerführer auf eidgenössischer Seite; 1486 wurde er Bürger der Stadt Zürich. Am 15. April 1615 verkaufte der tief verschuldete Freiherr Friedrich Ludwig die Herrschaft mit den Dörfern Sax, Frümsen, Salez, Haag, Sennwald sowie dem hohen Gericht in der Lienz und am Büchel um 115 000 Gulden an Zürich. Die Reformation kam hier 1529 in Gang, wurde dann rückgängig gemacht und 1565 erneut durchgeführt, wobei sich Sax aber erst 1598 und Haag gar erst 1637 anschloss.