«Namen sind ungeschriebene Geschichte»

Zum Bedeutungsinhalt romanischer Familiennamen

Abschliessend kehren wir noch zu einer Frage zurück, welche weiter oben schon in allgemeiner Weise angesprochen worden war: Zur Frage nach den inhaltlichen, den bedeutungsmässigen Quellen, aus denen damals, anlässlich des Übergangs zur Zweisprachigkeit, geschöpft wurde für die Bildung von Beinamen und späteren Familiennamen. Wir fassen hier die Gruppen der ursprünglichen Berufs- und Standesnamen sowie der Übernamen ins Auge, soweit sie in der alträtoromanischen Tradition Unterrätiens fassbar werden.

 

Ableitung aus romanischen Berufs- oder Standesnamen

Familiennamen romanischer Herkunft, die von der gesellschaftlichen Stellung, vom Beruf ihres ersten Trägers zeugen, lassen sich für unseren Raum wie folgt beibringen:

Caluoster, Gluster (Wangs urk.) < rom. caluoster ‘Mesmer’

Dyan, Digaun (Bartholomäberg 1454) < rom. diaun ‘Gerichtsdiener, Eherichter’ (lat. decanus ‘Vorgesetzter)

Fafer (Silbertal 1400) < rom. faver ‘Schmied’ (lat. fabru)

Gatan (Frastanz 1501) < rom. chandan ‘Zusenn’ (lat. capitanus ‘Hauptmann’)

Lifer (verbreitet: Triesen, Grabs, Frastanz) < altrom. liver ‘frei’ (lat. liber)

Sudrell (Montafon) < lat. sutor + -ellu ‘Schneiderlein’.

 

Ableitung aus romanischen Ãœbernamen

Dass Übernamen zu allen Zeiten im Umlauf waren, wird kaum jemand in Zweifel ziehen, der mit dem Volkscharakter vertraut ist. Jedenfalls tritt diese besonders reizvolle Klasse der Beinamen auch auf dem Feld der Familiennamen in bedeutender Weise in Erscheinung. Einige solche im Grunde eher merkwürdige und erheiternde Namengebungen mögen hier den Abschluss bilden. Nach den bisherigen, vielleicht eher trockenen Materialklassierungen gibt diese Gruppe Gelegenheit, die Phantasie einfach noch etwas schweifen zu lassen – so wie eben diese Namengruppe selber durch ein freies, unvorhersehbares Wuchern gekennzeichnet ist. Lassen wir diese Namen inhaltlich kunterbunt, aber immerhin in alphabetischer Folge, an uns vorüberziehen:

Barbisch (Montafon) < rom. barbeisch ‘Hammel, Widder’ (lat. berbex)

Batalauw(en) (St.Gallenkirch 1487) < rom. batta l’aua ‘schlag (stampf) das Wasser’

Bellvatsch (Ludesch um 1450) < rom. bella fatscha ‘schönes Antlitz’

Caramamma (Flums urk.) < rom. chara mamma ‘liebe Mutter’

Fawonn (Silbertal um 1440) < rom. favuogn ‘Föhn’

Gambalonga (Ragaz urk.) < rom. chamma lunga ‘langes Bein’

Gantenbein (Grabs, urk. auch Triesen, Vorarlberg) < rom. canta bein ‘sing gut’

Gorf (Grabs 1463) < rom. corv ‘Rabe’ (lat. corvus)

Palölli (Frastanz 16. Jh.) < rom. pluogl ‘Laus’ (lat. peduculus)

Parler (Gaschurn 1514) < rom. parler ‘Kessler’ (lat. pariolariu)

Sturn (Bludenz, Sargans, urk.) < rom. stuorn ‘verrückt’ (lat. sturnus)

Tschavoll (Nenzing 1502) < rom. tschaguola ‘Zwiebel’ (lat. cepulla)

 

Hier endet dieser Rundgang durch die Familien-, Sippschafts- und Personennamenlandschaft des altromanischen Unterrätien. Dass dieses Nameninventar einen integrierenden Bestandteil der churrätischen Namentradition bildet, dieselben Grundzüge wie jene zeigt, hat sich wohl deutlich genug herausgestellt. Insofern grenzt sich unser Raum auch in bedeutendem Mass von den nördlich und westlich angrenzenden Landschaften ab.

Das Auseinanderbrechen des alten churrätischen Staatsgebildes und der Sprachwechsel vom Romanischen zum Deutschen in der Zeit des mittelalterlichen Feudalismus hat diese alte kulturelle Ausrichtung des Raumes zwischen Hirschensprung und Landquart gegen Süden, gegen Chur hin bis heute nicht auszulöschen vermocht. Wohl sind die alemannischen Einflüsse in unserer exponierten Grenzzone zwischen Rätien und Alemannien stark hervorgetreten und haben auch ihr letztlich ihr Gepräge verliehen; wohl ist unserem Raum in besonders deutlichem Masse die Vermittlerrolle anzumerken, die er in dieser Grenzlage zugeteilt erhielt. Aber bis heute sind die Bande, die uns mit Alt Fry Rätien verbinden, doch in Sprache und Mentalität, in Sachkultur und Brauchtum in unserer Bevölkerung spürbar und sichtbar geblieben.