«Namen sind ungeschriebene Geschichte»

Vorbemerkung

Der Bündner Sprach- und Namenforscher Andrea Schorta (1905-1990) schrieb in der Einleitung zu seinem Rätischen Namenbuch, Bd. 2 (1964), S. XX: «Eine Siedlungsgeschichte Rätiens bedarf überdies nicht allein der Hilfe der bündnerischen Namenforschung. Sie erhofft vielmehr gerade für jene Teile Rätiens, die im Laufe der Geschichte von der eigentlichen oberrheinischen Kernlandschaft losgelöst wurden und bereits im Mittelalter der Germanisierung anheimfielen, gewichtige Hilfe. Bekanntlich aber liegt die systematische Erhebung und Deutung der Ortsnamen Unterrätiens, d. h. des heutigen St.Galler Oberlandes, des Rheintales bis zum Hirschensprung bei Oberriet, des Fürstentums Liechtenstein und des österreichischen Landes Vorarlberg noch in den Anfängen

Seit der Niederschrift dieses Befundes hat auch in den unterrätischen Landschaften die Namenforschung bedeutende Fortschritte erzielt. Abgeschlossen ist sie aber nicht; noch sind die onomastischen Materialien von Teilen Unterrätiens nicht verfügbar und/oder nicht systematisch analysiert. Auch die Personennamen- und die Reliktwortforschung haben noch nicht den Stand erreicht, der allgemeinere Folgerungen erlauben würde - nicht zu sprechen von weiteren Teilgebieten der Spracherkundung (Syntax-, Wortbildungs-, Intonations- oder semasiologische Forschung). Ein umfassender Überblick über die aus der Erforschung der Raetoromania submersa (der «untergetauchten» Romanität) gewonnenen Einzelerkenntnisse ist hier also nicht beabsichtigt.

Auch eine zusammenfassende Darstellung und Wertung der im Werdenberger Namenbuch erfassten sprachhistorischen Einzelerscheinungen muss einer eigenen Betrachtung aus grösserer Distanz und im Verbund mit den umgebenden Regionen vorbehalten bleiben. Hier sollen nur - im Sinne einer allgemein verständlichen Einführung - einige Aspekte des Themenbereichs angeführt werden. Vgl. Stricker 1981c, 29-33; Liver 1999, 83ff.