«Namen sind ungeschriebene Geschichte»
Das Älpchen mit dem "Rumpfnamen" Pir (älter Montpir) an der charakteristischen Kuppe über dem Studner Berg - ein alter Siedlungsplatz. - Bild: Werdenberger Namenbuch.

Romanische «Rumpfnamen»

Weniger häufig, aber dennoch ausreichend bezeugt, ist schliesslich das Verfahren, nicht nur die problembehaftete Präposition, sondern auch noch die folgende, den Auftakt zum romanischen Wortstamm bildende Schwachtonsilbe fallenzulassen, in der Weise also, dass aus einem Impertschils ein Rumpfname Tschils zurückbleibt. Entsprechend die Kürzungen Aferschnära > Schnära, Impertätsch > Tätsch, Heratils > Tils, Inagrib > Grib, Inagrüel > Grüel, usw. Damit sind Namenformen mit Erstbetonung erreicht, die sich nun ganz in die alemannische Betonungsweise einordnen.

Auch ausserhalb der Agglutinationsfälle findet sich die entsprechende Kürzung romanischer Namen in deutschem Munde, nämlich durch Abwurf der schwachtonigen ersten Silbe: Fina (Triesen, Schaan) geht auf älteres *Rofina (aus rtr. rovina 'Rüfe') zurück, Lums (Schellenberg) hiess ursprünglich *Salums (zu rtr. sulom ‘Boden’); Pir (Grabs) hiess noch 1463 Montpir; entsprechend ist Tillbühel (Satteins) urkundlich als Montils belegt.

Ebenso verbreitet, wenn nicht noch häufiger, ist bei der Gruppe ursprünglich schwachtonig anlautender Namenformen die Synkopierung, das heisst der Ausfall des tonschwachen Vokals der Vortonsilbe, womit sich gleichfalls Formen mit Erstsilbenbetonung ergeben. Aus den zahllosen romanischen Flurnamen, die diese synkopische Kürzung durchgemacht haben, seien herausgegriffen: Glanna (Sevelen/Buchs) aus *Galanna (mit Calanda identisch), Schgun (Grabs) aus *Tschaggun (mit Tschaggun[s] Montafon identisch); ferner Prer (Balzers) aus *Pirer, Gschind (Triesenberg) aus urk. Gartschind, Gritsch (Schaan) aus urk. Garlitsch, Gralitsch, usw.

Es ist aus diesen Beispielen leicht zu ersehen, wie «deutsches Sprachgefühl» auf unterschiedliche Weise, aber nachhaltig, an den überkommenen romanischen Namen arbeitete, um sie mehr und mehr in die eigenen Sprachstrukturen einzupassen. Dies war umso leichter möglich, weil der Sprachwechsel die romanischen Namen ja aus ihren organischen Bezügen heraushob und zur blossen Wortetikette werden liess. Dieser isolierten Elemente bemächtigte sich nun die neue Sprache an verschiedenen Fronten, im formalen wie im inhaltlichen Bereich, wie gleich gezeigt werden soll.