«Namen sind ungeschriebene Geschichte»
Über dem Voralpsee (Grabs), auf dem Weg ins Alptal Ischlawiz. - Bild: Werdenberger Namenbuch.

Weitere Auswirkungen romanisch-deutscher Interferenz

Formale Sonderentwicklungen

Dabei kann ein bestimmtes vordeutsches Wort- oder Namenrelikt im regionalen Vergleich in recht unterschiedlicher Weise umgestaltet und mundartlich integriert werden. Nehmen wir als Beispiel altromanisch runcaglia (< lat. *runcalia 'Reute, Rodung'), das als Name häufig vorkommt, und betrachten wir die Formenvielfalt, die sich in Deutschbünden und Unterrätien daraus ergeben hat: Man findet Rongellen Schams, Raggalia Luzein, Runggalia Fideris, Gargällis Trimmis, Ragalla Untervaz, †Rageila Vilters, Gäll Mols, Reggella Wartau, Äräggäll Grabs, Iraggäll Gams, Iraggell Vaduz, Ruggell FL, ferner auch das früher eingedeutschte, weil auf der ersten Silbe betonte Runggels Buchs.

Besonders augenfällig wird die mundarttypische Eindeutschung von Romanismen dort, wo sich auf engem Raum, aber in unterschiedlichen Sprechergruppen verschiedenartige Formen miteinander entwickelt haben – denken wir an das Nebeneinander von walserischer und niederalemannischer Mundart in Liechtenstein: der Alpname Malbun heisst (oder hiess) Imelbu bei den Vaduzer, Milbu bei den Triesenberger Alpbesitzern; Gaflei lautet in der Talmundart Ggaflei, walserisch aber Ggifläi; entsprechend steht für Masescha (Triesenberg) die walserische Aussprache auf Mi-, und der in Gamprin Salums lautende Name kommt auch als Silum (Triesenberg) vor. In diesem Zusammenhang sei auch nochmals der Fall Palfris (Wartau) erwähnt, der von Grabs aus in die Kategorie der Agglutinationsnamen mit einbezogen wurde und im Mund der Grabser zu Impelfris wurde.

Ablenkung, Analogie

Es gibt sprachliche Verfremdungen, die darin bestehen, dass ein Name aufgrund der lautlichen Nähe zu einer (auch räumlich meist benachbarten) anderen Bezeichnung oder in Anlehnung an eine beliebige (assoziativ ausgelöste) sachliche Überlegung in seiner äusseren Gestalt abgebogen und – sprachgeschichtlich unorganisch – in einen anderen Entwicklungsgang übergeführt wird. Meist handelt es sich dabei um Einzelfälle; gelegentlich kann es aber vorkommen, dass sich ein Namenselement auf analogischem Weg sehr stark verbreitet. In diesen Fällen springt stets ein assoziativer Funke von einer nicht mehr verstandenen romanischen Ausgangsform zu einem formal ähnlichen, jedoch im übrigen gänzlich beziehungslosen deutschen Element.

Dies gilt etwa von der Silbe Ver-, die sich in zahllosen Flurnamen über ganz Unterrätien und Tirol verstreut findet; entgegen dem äusseren Eindruck ist sie sprachlich keineswegs homogener Abkunft; vielmehr sind etymologisch ganz unterschiedliche Formelemente (romanisch val ‘Tal’, ual ‘Bach’, èr ‘Acker’ und vieles mehr) zu diesem Ver- zusammengebogen worden. Erinnert sei hier an: Verpeil in Tirol, Vermunt zwischen Montafon (Vorarlberg) und Paznaun (Tirol), Ferschnei (Nenzing), Iverplut (Grabs, Schreibform Verplut), Ivertschell (Grabs, Schreibform Vertschell), Iverturst (Grabs, Schreibform Verturst). Oft wird dieses Namenelement Ver- (laienhaft und natürlich ohne jeden Sinnzusammenhang) gar mit dem gleichlautenden deutschen Verbalpräfix (ver-stehen, ver-kaufen, usw.) in eine nebelhafte Beziehung gebracht.

Im Namen Parmezg Triesenberg geht auf romanisch pra mez 'mittlere Wiese' zurück. In ihm schwingt heute unüberhörbar alem. Metzg f. mit, ohne dass auch hier ein innerer Zusammenhang bestünde. Beim Namen Iverturst Grabs (aus romanisch vaduost ‘vorjährig, brach’, lat. vetustus 'alt') liegt wiederum eine – ebenso vage wie absurde – Idee des «Verdurstens» in der Nähe (I verdurst ‘ich verdurste’ ...).

Deutsche Wortbildungselemente an romanischen Namen

Normalerweise geht der Bereich der Wortbildung (Morphologie) in jeder Sprache seine eigenen Wege. Es lassen sich nun aber in der Kontaktsituation /romanische Namen – alemannische Sprecher/ eine Reihe integrierender Entwicklungen, Überschneidungen beobachten, in Form vieler deutscher Diminutiv- sowie einiger Pluralbildungen an romanischen Namen: Tröxle (Schaan) geht auf ein primäres *Trox zurück, †Bängsle (Ruggell) ein älteres Bangs, Güschgle (Balzers) stellt sich neben Guschg. Dann in Grabs die Namen Länggli, Gristli, Gögli zu älterem *Langga, †Gresta, Gogen, ferner Glännli (Sevelen) zu Glanna.

Wie aber kann jemand Verkleinerungsformen bilden zu Fremdnamen, die für ihn gar nicht (sprachlich!) sinntragend sind, weil sie ja keine Appellativa (Sachwörter) darstellen? Sicher, bei Namen wie Quäderli (Vaduz), kann auf das Grundwort Quadra, Quader(a) zurückgegriffen werden, das über ganz Rätien verbreitet ist und als Lehnwort (für ‘Ackerland’) in die Mundarten eingegangen war; man vergleiche etwa Koraquadra 'Kornquader' (‘Kornacker’) in Chur; ferner ebendort urk. 1410 <under der klainen Quader> (RN 2, 276).

In den meisten der oben angeführten Verkleinerungsformen bieten sich jedoch keine solchen Brücken dar. Dort muss die «Verkleinerung» auf einer anderen Ebene gesucht werden, nämlich in der Absicht, eine Abspaltung und Eigenbenennung eines kleine(re)n Teilgebiets von dem mit dem Grundnamen bezeichneten Raum zu erlangen. Glännli (Sevelen) steht also für: ‘kleines Teilgebiet, das zum Gebiet Glanna gehört, aber von diesem abgesetzt erscheint; «Klein-Glanna»’.

Grammatische Integration vordeutscher Namen

Als noch weitgehend unerforscht stellt sich uns die Frage des grammatischen Einbaues vordeutscher Namen in das Deutsche dar, das heisst: die Eingliederung der Ortsnamen mittels Annahme von Genus und Artikel oder auch nur die mundartlich fixierte Bevorzugung bestimmter Ortspräpositionen. Es lässt sich nämlich aufgrund unserer historischen Dokumentation unschwer eine deutliche jüngere Tendenz nachweisen, die Namen in das grammatische System der alemannischen Mundart mehr und mehr einzubauen. Dies geschieht in verschiedene Richtungen und im Einzelfall oft schwankend, aber jedenfalls in jüngerer Zeit immer massiver.

Dazu gehört die Setzung von Artikel vor Fremdnamen und hier insbesondere vor Agglutinationsnamen (nach dem syntaktischen Funktionsverlust der agglutinierten Präposition). Ich meine damit etwa folgende Beobachtungen, auf die hier ohne weitere Wertung kurz aufmerksam gemacht sein soll (Stricker 1976). Bei den weiter oben behandelten Namen mit agglutinierter deutscher Präposition fällt auf, dass im Raum Quarten-Flums diese fast durchwegs als Maskulina behandelt werden: der Amazella, der Hamafiu, der Anggeldura (alle Quarten), der Inggaltschas (Flums). Im Werdenberg wieder treten viele Neutra hervor: ds Amazell, ds Eladritscha (Wartau), ds Amplasur, ds Inggarnol (Sevelen), s Imatschils, s Amaleis (Gams); daneben finden sich auch grössere Femininagruppen um Grabs: t Aferschnära, t Ampadeila. Diese Tendenz zur Artikelsetzung bei den natürlicherweise ursprünglich (im Deutschen) genus- und damit auch artikellosen Fremdnamen lässt sich im weiteren Umkreis beobachten (zu den diesbezüglichen Verhältnissen in Liechtenstein vergleiche man FLNB I/6, 76f.). Nur in Grabs bzw. am Grabser Berg ist in diesen Fällen bis heute der artikellose Gebrauch noch fassbar; noch heisst es hier: dort ist Amadang (nicht *s Amadang), man geht Amadang.

 

 
Gamperfinboden und Hinder Witi, oben links der Galferbühel, in der Mitte ganz hinten der Gamserrugg. - Bild: Werdenberger Namenbuch.

Heute ist allerdings auch in Grabs (zunächst vor allem im Dorf) die Tendenz unübersehbar, die vordeutschen Namen allgemein mit Artikel zu versehen (und sie damit noch nachdrücklicher einzudeutschen): s Amasis, s Gamperfin, s Ischlawiz, s Naus, t Anggelrina sind auf dem Vormarsch.

Die Setzung eines Artikels vor Namen mit agglutinierter Präpositionkann aber zeigt,  dass die einstmals freie, nun gebundene Präposition ihre ursprüngliche syntaktische Funktion eingebüsst hat, dass sie zum starren Namenanlaut mutierte, der teils belassen, teils in der Folge wieder abgeworfen wird.

Was hier dargestellt und angedeutet wurde, beleuchtet einen Aspekt der fortschreitenden Überlagerung des Namensubstrats, wie sie – in verschiedenen Problemstellungen und mit unterschiedlichen Ergebnissen – wohl allgemein in sprachlichen Überschichtungslandschaften beobachtet werden kann. Nur das Agglutinationsphänomen ist eine Besonderheit von Teilen der unterrätischen Sprachlandschaft.

Sprachkontakt im Bedeutungsbereich, Übersetzungsnamen

Wir kommen zur letzten der hier ins Auge zu fassenden Verdeutschungsebenen. Während bisher die Folgen des Sprachkontakts in ihren formalen Komponenten im Blickfeld standen, soll nun auch das Feld von Wort- und Namenbedeutung, also der inhaltliche Bereich betrachtet werden. Auch hier lassen sich wieder eine Reihe von Verflechtungen darstellen, die sich im Gefolge des Sprachwechsels ereignet haben.

Die Sprache ist ja stets zweigesichtig: Zur Form gehört der Inhalt - gleich wie die Rückseite zur Vorderseite einer Münze. Jede sprachliche Äusserung transportiert ja mit der akustischen oder schriftlichen Form auch einen Inhalt, eine Bedeutung. Dasselbe gilt, wenigstens ursprünglich, von den Namen: Zur Zeit ihrer Prägung waren sie Wörter, wurden sie nicht nur gekannt, sondern auch verstanden.

Während der Generationen überspannenden Epoche der Zweisprachigkeit vor dem völligen Sprachwechsel ist eine unbe­kannte, wohl sehr hohe Zahl sprechender (verstandener) romanischer Namen mit dem allgemeinen Übergang ins Deutsche mitübersetzt worden. Damit sind die primären romanischen Bezeichnungen ihrer äusseren Form nach zwar verschwunden, in ihrem Bedeutungsgehalt aber erhalten geblieben. Es ist unmöglich, sich ein Bild vom Ausmass dieses Übersetzungsvorganges zu machen, da er ja meist keine Spuren hinterlassen hat. Oftmals gelingt es aber dem aufmerksamen Beobachter, aus dem örtlich benachbarten Auftreten sinnentsprechender Bezeichnungen in beiden Sprachen, oder in hybriden (sprachlich gemischten) Doppelnamen, ein winziges Stück dieses riesigen sprachlichen Umwälzungsprozesses dingfest zu machen.


Blick von Feila am Gamserrugg hinüber auf den Passübergang Nideri (rechts unten das Seeztal). Hinten links der höchste Gipfel der Alvierkette, der Gämsler, rechts der Sichelchamm.

Schöne Beispiele derartiger Doppelbezeichnungen gibt es mehrfach, in Werdenberg und auch anderwärts: Der Passübergang zwischen Churfirsten und Alvierkette, der Grabs mit Walenstadt verbindet, heisst heute t Nideri. Dass er älter Furggla, romanisch fuorcla 'Gabel, Passübergang', geheissen hat, geht unmissverständlich hervor aus dem Namen Furgglahalde, der die steilen Heuplätze auf der Grabser Seite unterhalb des Überganges benennt, und in welchem die alte Passbezeichnung (in Verbindung mit Halde) den Sprachwechsel überdauert hat.

Der abgegangene Name †Falserein (in einem einzigen, nicht original überlieferten Beleg von *1401 als <valserün> verlesen, evtl. verschrieben), weist in den Raum der Alp Riet an der Nordflanke des Gonzen, in das Quellgebiet des Luterbachs. Hier ist mit Händen zu greifen, dass ein ursprüngliches rom. ual serein 'klarer, lauterer Bach' (lat. aquale serenu) als Vorläufer des heutigen Luterbach gelebt haben muss, wobei nur der deutsche Übersetzungsname überlebt hat.

Ähnlich der Fall des Namens Figgoltreien auf Neuenalp (Grabs) im Gebiet Warmtobel (!): Im Namenteil Figgol- steckt nämlich rom. val caulda 'warmes Tal', womit der sinnhafte Zusammenhang mit dem Namen Warmtobel evident ist. Das Grundwort Treije ‘Viehweglein, Pfad’ ging als vorrömisches Reliktwort über romanisch truoi in unsere Mundarten ein.

Auffälliges findet sich auch beim Bachnamen Logner in Sevelen. Es handelt sich um einen Scherznamen, der auf alem. Lugner m. 'Lügner' beruht, nämlich: '[Bach] mit unregelmässiger, also trügerischer, «lügenhafter» Wasserführung’. Und nun das hier Wichtige: Der Ort, wo nun die Bergbäche Logner und Röll sich vereinigen, hiess älter †Mansinia – und dieser Name beruht seinerseits auf surselv. manzegna 'Lüge'! Damit erweist sich auch Logner als Übersetzungsname. Derselbe Name hängt übrigens auch an einem Bach in Grabs. Ob dort von derselben Vorgeschichte auszugehen sein mag, bleibt offen, da ein entsprechender romanischer Vorläufer hier überliefert ist; möglich wäre es aber durchaus ebenso.

Eine eigentliche Doppelbenennung liegt dort vor, wo ein Name übersetzt wird, dann aber die ältere und die jüngere Form verbunden als Doppelname weiterleben. Dieser Fall ist eingetreten bei dem urkundlich erwähnten Namen †Pradwesa (Balzers), denn romanisch prada heisst ja ‘Wiesen’. Ebenfalls doppelt genäht ist der Name Littenhalde für einen Weidhang in der Alp Länggli (Grabs): dort hat sich das nicht mehr geläufige älter mda. Litte f. '(steiler) Bergabhang' mit gleichbedeutendem dt. Halde f. verbunden.

Die Rolle der Volksetymologie

Nach dem Versiegen der lebendigen romanischen Rede sah sich die deutschsprachige Bevölkerung im Besitz einer grossen Zahl ihnen räumlich wohlvertrauter, sprachlich jedoch fremd gewordener romanischer Geländenamen. Ein Bedürfnis, solche Namen zu verstehen, ihren Sinn zu ergründen, war aber weiterhin vorhanden. Doch wie sollte dies geschehen? Ein Zugang zur ursprünglichen Wortbedeutung der romanischen Relikte war ja nicht mehr möglich; es blieb nur mehr das Mittel freier Assoziation mit äusserlich ähnlichen deutschen Wortformen, die dann freilich in ganz andere Sinnzusammenhänge hineinführten. Diese Art der naiven, volkstümlichen Neuinterpretation unverständlich gewordener Reliktnamen wird Volksetymologie genannt. Auch hier lassen sich sprechende Beispiele leicht finden.

Der Name des steilen Wieshangs Pluthalde über Oberschan (Wartau) wird heute allgemein als 'nackte Halde' verstanden (mundartlich plutt ‘nackt’). In Wirklichkeit hängt er aber zusammen mit dem darunter liegenden Flurnamen Paluta (dieser zu rtr. pigliuotta f. 'Gerstenstampfe, Stampfmühle'). Der Hintergrund scheint nun klar: Die ursprüngliche Verbindung *Palutahalde wurde zu *Plutahalde synkopiert, woraus die heutige Form, gestützt durch die Assoziation mit alem. blutt adj. 'bloss, nackt'.

Der Name Lätsch für eine bucklige Alpweide im talartigen Einschnitt Schneetole in der Alp Ischlawiz (Grabs) wird zunächst unwillkürlich mit mundartl. Lätsch m. 'Schlinge' in Beziehung gesetzt. Wahrscheinlicher ist freilich die Annahme, artr. vallatscha f. 'nicht schöner Taleinschnitt' sei zunächst zu *valätsch gekürzt und zu *v’lätsch synkopiert worden. Daraus entstand dann (evtl. durch Umdeutung der Anlautsilbe va- als dt. Präposition von) die Restform Lätsch, welche dann volksetymologisch umgedeutet wurde.

Eigenartig ist auch der Name im Bluetlosen für ein unwegsames, schiefriges Tobel zuhinterst am Grabser Berg, hinter Räppenen, an dem steil ins Simmitobel abfallenden bewaldeten Nordhang. Einigermassen ratlos denkt man an dt. blutlos 'ohne Blut'. Hier hilft uns eine Belegform von 1485 <gluotlösin> eine erste Hürde nehmen: Der Name fing nämlich älter mit G- an. So erwies sich der Name als Entstellung aus mhd. gluot-glosin f. 'Ort, wo Glut mottet', offensichtlich bezogen auf die einstmals in jenem Waldgebiet nachweislich betriebene Kohlebrennerei.

Nicht stets lässt sich freilich die Ausgangsform einer volksetymologischen Verformung noch ermitteln: Im Fall von Musutter (Sevelen) scheint trotz einer Reihe diesbezüglicher Versuche die (evtl. romanische) Ursprungsform noch nicht gefunden, und auch der Name Bruedermäl (Gams), offensichtlich zweifelhaft, bleibt weiter unsicher – ein Zusammenhang mit artr. prau da maila 'Apfel[baum]wiese' schiene durchaus plausibel, wird aber kaum zu beweisen sein.


Der Maienberg Hinrigmäl (Lidmäl) oben am vordersten Grabser Berg, oberhalb Guferen, in der Senke zwischen dem Grabser Berg (Maienberge) und dem jäh hochsteigenden Studner Berg (Cherhalde).

Namen mit agglutinierter Präposition werden nicht selten das Opfer volksetymologischer Umdeutung. Denn bei ihnen hat sich mit dem Zuzug der Ortspräposition der romanische Namenkörper äusserlich stark verändert. Hier kann der Fall Hinrigmäl am vordersten Grabser Berg erwähnt werden, zu dem bis heute eine ältere Schreibform Lidmäl gebräuchlich geblieben ist. Sie dürfte auf artr. ladümer m. 'Mist-, Düngerhaufen' (allenfalls älter auch 'gedüngte Wiese, Fettwiese'?) zurückgehen. Auf Lidmäl beruht auch die heutige Namensform Hinrigmäl: Aus *In-Lidmäl wurde durch Liquidtausch (l > r) *Inridmäl, in den sich nun alsbald die Präpositon hinder (vgl. urk. 1691 <Hinderligmäl>) einmischte – und darauf gar eine (sachlich ganz unbegründete) Anlehnung an den Weilernamen Hinderegg am hinteren Grabser Berg, wie die Schreibung urk. 1770 <Hindereck Gmäl> deutlich zeigt.

Doch genug der Beispiele. Sie reichen bei weitem, um zu zeigen, welch komplexen Vorgang ein Sprachwechsel darstellt, und wie unzutreffend die Vorstellung wäre, mit dem Verstummen der romanischen Rede wäre die sprachliche Umwälzung im Rheintal ein für allemal abgeschlossen gewesen. In den zahllosen Spuren, welche die über tausendjährige romanische Epoche in unserer Landschaft und im Munde ihrer Be­wohner hinterlassen hat, wirkt die romanischdeutsche Symbiose noch nach Jahrhunderten weiter; unmerklich, aber in zäher Beharrlichkeit fährt das Alemannische fort, die älteren Schichten zu überwachsen und sie, wo nicht ganz zu verdecken, so doch mehr und mehr dem eigenen Wesen anzugleichen.